Süddeutsche Zeitung

In Lenggries:Zwischenräume für die eigene Ernte

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Bio, regional und unverpackt: Auf Flächen, die Äcker voneinander trennen, sogenannten Bifangs, können Interessierte selbst Obst und Gemüse anbauen.

Von Nora Schumann, Lenggries

Heiner Schwab blinzelt mit zusammengekniffenen Augen auf das sonnige Feld. Meterhohe Sonnenblumen ragen aus dem Grün des Lenggrieser Ackers. "Das ist jetzt mehr so ein Sonderbereich, eine Blühwiese oder Bienenweide", sagt er. Die Wiese am Rand des Ackers ist eine Folge des Volksbegehrens. Denn eigentlich ist das rund einen halben Hektar große Areal für den Gemüseanbau gedacht. Das Feld ist in über 60 sogenannte Bifangs unterteilt, auf denen zahlreiche Gemüsesorten ihre Blätter der Augustsonne entgegenrecken.

Als Bifang wird der Teil des Ackers bezeichnet, der zwischen zwei Furchen liegt - und im Fall des Lenggrieser Ackers aus zwei parallelen "Kartoffeldämmen" besteht. Am Anfang und Ende jeder Saison wird das Gelände kollektiv maschinell bearbeitet und die Bifänge neu gezogen. Auf dem "Lenggriesa Acker", den Heiner Schwab seit vier Jahren gepachtet hat, beträgt die Fläche eines Bifangs rund 75 Quadratmeter. Für sechzig Euro im Jahr können Interessierte dann in dieser Zwischenfläche säen, pflegen, gießen und ernten, was ihnen schmeckt. "Da Lenggriesa Acker" ist Teil von "Ackern im Oberland", einer Initiative für ökologische Gemeinschaftsfelder, der auch "Da Tölza Garten" und "Da Tölza Krautgarten" angehören.

Die Nachfrage nach regionaler Selbstversorgung ist groß, alle Bifangs in Lenggries sind belegt. Um einen Bifang bewirtschaften zu dürfen, muss man die Initiative kontaktieren und sich mit den Regeln einverstanden erklären: "kein künstlicher Dünger, kein mineralischer Dünger, sondern nur natürlicher Dünger", sagt Schwab. Was gepflanzt wird, soll außerdem aus biologischer Zucht stammen. Mit dem Beitritt erklärt man sich auch bereit, in einer der Arbeitsgruppen mitzuarbeiten, die sich um gemeinschaftliche Aufgaben wie Mähen, Werkzeugpflege oder die Instandhaltung des Elektrozauns kümmern - "wegen der Wildschweine", erklärt er.

Schwab stammt ursprünglich aus Österreich. Seine Ferien habe er immer bei der Familie seines Onkels verbracht, der sei Landarzt gewesen und habe nebenbei auch ein wenig Landwirtschaft betrieben, erzählt er. Es gab ein Pferd, mit dem geackert oder gemäht wurde, und am Nachmittag sei der Onkel mit dem Pferd zu den Patienten geritten. "Das waren einige sehr schöne Ferienzeiten", erinnert sich der gelernte Maschinenbauer. In seiner Jugend schloss sich Schwab dann der Umweltbewegung in Ostfriesland an. Damals sei es nicht gegen Glyphosat, sondern gegen die Industrialisierung der Küste gegangen. Im bayrischen Oberland hingegen protestierte Schwab mit dem Verein "Zivilcourage gegen Agro-Gentechnik" und gegen den Einsatz von chemischen Spritzmitteln. Bei alljährlichen Demonstrationsfahrten des Vereins nach Berlin habe er nicht das Gefühl gehabt, es würde sich etwas ändern, sagt Schwab. "Wenn man da vor dem Bundeskanzleramt mit zwanzig- bis vierzigtausend Leuten steht und es rührt sich nichts, dann wird man etwas" - er sucht nach dem richtigen Wort - "ungeduldig", sagt er schließlich.

Heiner Schwab spricht besonnen, hat eine braune Ledermappe mit Unterlagen zum Projekt unter den Arm geklemmt. Radikal wirkt er nicht, wohl aber merkt man ihm die Liebe und Hingabe zur Natur an. Aber wie stemmt man ein Projekt wie den "Lenggriesa Acker" mit 76 Jahren?

"Zuerst muss man Verbündete suchen", sagt Schwab. Die habe er unter anderem im Landwirt Sepp Heiß gefunden, der ihm das Stück Land zur Verfügung stellte. Sie hätten das Grundstück gewählt, weil der nahe gelegene Bach die Wasserversorgung gewährleiste, erklärt Schwab. Die meisten Menschen, die einen Bifang bepflanzen, sind eher Anfänger in der Pflanzenzucht. Gartenbau-Ingenieur Sebastian Girmann vom benachbarten Projekt "Biotop" bietet deshalb zwei Mal im Jahr Seminare zu grundlegenden Themen an: Bodenbearbeitung, Pflanzenauswahl, Pflanzenabstand und Schädlingsbekämpfung. Denn mit Schädlingen haben die Lenggrieser Kleinstbauern durchaus zu kämpfen: Unkraut, Wühlmäuse, Kartoffelkäfer. Gegen die Mäuseinvasion hat die Gruppe Raubvogel-Hochsitze gebaut. "Aber die Mäuse sind im Moment noch in der Überzahl", sagt Schwab und lacht.

Andrea Wolf bewirtschaftet mit ihrem Sohn seit zwei Jahren einen Bifang. Erbsen, gelbe Rüben, Pastinaken, Salat, Bohnen, Zucchini, Kohlrabi, Mangold, Gurken, Brokkoli, rote Beete, Zwiebeln, Kartoffeln, all das haben Mutter und Sohn, beide voll berufstätig, auf ihrem kleinen Stück Acker angepflanzt. Im Sommer könnten sie sich mit Gemüse komplett selbst versorgen, was übrig bleibt, werde eingemacht oder zubereitet und eingefroren. Es sei schon viel Arbeit, findet die 53-jährige Tierärztin, aber auch sehr schön. "Da kann man so runterkommen", sagt sie, "es ist wirklich eine erdige Arbeit im Sinne des Wortes erdig und erdend."

Heiner Schwab kontrolliert derweil die Reihen, ob jemand seinen Bifang vernachlässigt, eine Ermahnung oder gar Hilfe braucht. "Es ist jetzt auch Ferienzeit", sagt er, "wenn man den Bifang längere Zeit unbewacht lässt, dann wundert man sich, wenn man zurückkommt, was da alles gewachsen ist."

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SZ vom 16.08.2019
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