Süddeutsche Zeitung

Geretsrieder Geschichte:Vom Unterrock bis zum Mini-U-Boot

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Der Arbeitskreis Historisches Geretsried plant eine Ausstellung über die Industrie- und Gewerbegeschichte der Stadt. Werner Sebb rechnet mit vierzig Exponaten

Von Felicitas Amler, Geretsried

Der Mann sei ein adliger Hansdampf gewesen, so schrieb die SZ einmal über Otto Heinrich Graf Hagenburg. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete der Erfinder, Flieger und Autorennfahrer in Geretsried die Hagenburg KG. Dort entwickelte er neben Angelruten und Katamaranen in den Sechzigerjahren ein Unikum besonderer Art: ein Ein-Mann-Tauchboot zu rein friedlichen Zwecken, hergestellt aus Fiberglas, leicht und belastbar - geeignet für den "Urlaub im eigenen U-Boot". Ein Prachtstück aus der 1971 eingestellten Produktion wird heuer in Geretsried zu sehen sein, sicher eins der skurrilsten Exponate der Ausstellung über die Industrie- und Gewerbegeschichte der Stadt, die der Arbeitskreis Historisches Geretsried (AHG) mit Unterstützung von Stadt und Museum plant.

Werner Sebb, stellvertretender AHG-Sprecher, organisiert diese Schau, die der Arbeitskreis zum Geretsrieder Jubiläumsjahr - 50 Jahre Stadt, 70 Jahre Gemeinde - konzipiert hat. Die Vorbereitungen müssten trotz Corona-Krise weiterlaufen, sagt er, damit das Projekt nicht ganz scheitere. Ob das ursprünglich geplante Eröffnungsdatum, der 2. Juli, eingehalten werden kann, sei natürlich ungewiss. Schlimmstenfalls wolle der Verein die Ausstellung auf Oktober verschieben.

"Industriepioniere"

Unter dem Titel "Industriepioniere in Geretsried" ist bereits im Mai 2010 ein Geretsrieder Heft erschienen - ebenfalls unter Federführung von Sebb -, in dem 23 Unternehmen der ersten Stunde vorgestellt wurden. Die jetzt geplante Ausstellung soll im früheren Kunstbunker gezeigt werden, also an einem historischen Ort, dem ehemaligen Kohlebunker des Kraftwerks 2 des NS-Rüstungsbetriebs DAG am Isardamm. Das Anwesen ist mittlerweile im Besitz der Wolfratshauser Krämmelgruppe, die es nun für die Schau bereitstellt. Diese biete, so Sebb, einen weit größeren Überblick als ihre Vorgänger-Ausstellung aus dem Jahr 1950; diese fand aus Anlass der Gemeindegründung in der kurz vorher geräumten Produktionshalle der Werkzeugfabrik Brühschwein statt. "Es tauchen zahlreiche Namen auf, welche, wenn überhaupt, nur noch Geretsriedern geläufig sind, die bereits bei der Gemeindegründung hier ansässig waren. Für einen beachtlichen Personenkreis müsste das von besonderem Interesse sein."

Die Exponate sollen die Vielseitigkeit der Geretsrieder Industrie schon vor mehr als 70 Jahren verdeutlichen, erklärt Sebb. Sie verweist auf den Gründungsmythos der Stadt, die im Wesentlichen von Heimatvertriebenen aufgebaut wurde. Wenngleich bei weitem nicht von allen damaligen Unternehmen Ausstellungsobjekte zur Verfügung stünden, so böten sich doch eindrucksvolle Einblicke in Produktsortimente und Arbeitsmethoden von damals, erklärt Sebb. "Dies gilt für Erzeugnisse der Textilbranche ebenso wie für den Musikinstrumentenbau, die Herstellung chemischer Produkte, den Maschinen- und Apparatebau, die Lebensmittel- und Genussmittelbranche und vieles andere mehr."

Unter den etwa vierzig Exponaten werden nach Sebbs Auskunft etwa ein Unterrock der Marke "Charmena", eine Melton-Tuba und ein Wittmayer-Cembalo zu sehen sein. Zu den Preziosen zählt ein Waffeleisen aus dem Fundus der Familie Beyer, mit dem Karlsbader Oblaten hergestellt wurden. Die Beyers waren 1946 von der Tschechoslowakei enteignet worden und nach Deutschland gekommen - mit dem Originalrezept für die Karlsbader Oblaten und dem Waffeleisen im Gepäck.

Auch an die Spielzeugfabrik Lorenz, auf deren früherem Areal derzeit ein Riesenwohnprojekt geplant ist, wird erinnert, und zwar mit einer etwa 80 Zentimeter hohen funktionsfähigen Windmühle. Ein größeres Ausstellungsstücke ist ein Stahlgitterträger für Dachkonstruktionen aus dem Hause Filigran. Und dann gibt es noch ein paar aus unbekannten Gründen bis heute konservierte Produkte: Ergo-Marmeladen aus den Sechzigerjahren - ungeöffnete Konserven. Sebb lacht: Man sollte sie vielleicht besser nicht öffnen, "damit man sie in hundert Jahren noch ausstellen kann".

www.arbeitskreis-historisches-geretsried.de

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Quelle:
SZ vom 26.03.2020
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