Süddeutsche Zeitung

Interview:"Weg von diesem Altherren-Image"

Lesezeit: 5 min

Der neue Geretsrieder CSU-Vorsitzende Martin Huber hat sich eine Verjüngung seiner Partei vorgenommen. Die Wohnungsnot sieht er derzeit als größtes Problem in der Stadt

Interview von Felicitas Amler

Klettern und Bouldern sind seine Hobbys - und die Familie, sagt Martin Huber. Der 37-jährige Geretsrieder hat die Nachfolge von Ewald Kailberth als CSU-Ortsvorsitzender angetreten. Huber ist Polizeibeamter, hat mit neunmonatiger Präsenz den NSU-Prozess in München begleitet und arbeitet jetzt im Münchner Präsidialbüro der Polizei im Bereich strategische Öffentlichkeitsarbeit, dazu gehören die Betreuung von Fachbesuchern und Politikern und das Schreiben von Grußworten und Reden. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder im Alter von elf und 13 Jahren, ist 2015 in die CSU eingetreten und seit 2020 im Stadtrat.

Herr Huber, Sie waren noch nicht Stadtrat, als über das Geretsrieder Zentrum beschlossen wurde. Wie zufrieden sind Sie mit dem neuen Karl-Lederer-Platz?

Martin Huber: Ich verstehe durchaus, dass jemand, der da wohnt, jahrelang dort Baustelle hatte und sein gewohntes Lebensumfeld anders wahrnehmen muss, sagt: Das gefällt mir nicht. Mit Sicherheit ist es gerade für die ältere Generation, die ihr Geretsried hat wachsen sehen, eine Umstellung.

Und wie sehen Sie es persönlich?

Wenn man die Pläne sieht, wie's insgesamt in der T-Zone mal ausschauen kann, finde ich's durchaus gelungen. Es ist modern, ohne dass man das Alte völlig verschandelt.

Das Ziel war, die Innenstadt zu beleben. Jetzt ist da ein Edeka, es kommt noch ein Discounter. Die Leute wünschen sich aber viele kleine Geschäfte zum Bummeln.

Man braucht immer erst einmal einen Magneten, das ist hier der Edeka, das andere wird kommen. Es sind schon zwei Cafés da, eine Eisdiele, eine Pizzeria und eine Buchhandlung. Dazu abseits ein Museum und zentral das Rathaus. Und das Ganze ist mit dem Pkw erreichbar. Die Leute werden das annehmen.

Die Geretsrieder CSU ist seit dem Bürgermeister-Wahlkampf 2014 absolut Müller-geprägt. Michael Müller hat energisch die Themen gesetzt und die Richtung vorgegeben. Und die CSU hat halt mitgezogen .

Es ist ja auch irgendwo logisch, wenn die Fraktion den Bürgermeister stellt, dass sie hinter ihrem Mann steht.

Man hatte den Eindruck, von Müller geht die ganze Initiative aus. Er hat in der Stadtentwicklung eine neue Richtung eingeschlagen, mit dem Karl-Lederer-Platz. Ist denn die Basis überhaupt da, um eigene neue Ideen zu bringen?

Ja. Aber es ist ja wenig zielführend, einen Antrag ungeprüft einfach im Stadtrat einzubringen. Der richtige Weg ist, zunächst mit der Verwaltung zu reden, und dazu gehört der Bürgermeister - an dem wir natürlich näher dran sind. Und so fließen auch die Ideen aus der Fraktion mit ein.

Was wäre das aktuell?

Ehrlich gesagt, nichts Brandaktuelles, denn wir haben schon so viele Themen, die Großprojekte und auch die Projekte der nächsten Jahre. Das ist alternativlos: Kinderbetreuungsplätze, Schulen. Darauf müssen wir uns erst mal konzentrieren, bevor wir kreativ werden.

Sie haben angekündigt, die Geretsrieder CSU zu verjüngen. Was bedeutet das?

Wir haben einen Altersschnitt, der weit über dem liegt, was zukunftsträchtig ist. Jünger bedeutet für mich alles ab 20 bis 45 oder 50.

Sie wollen Mitglieder gewinnen.

Ja, Mitgliederwerbung ist ein Baustein. Aber ich möchte auch weg von diesem Altherren-Image.

Wie? Mit welchen Themen?

Es hängt nicht unbedingt von den Themen ab, sondern davon, wie ich Themen kommuniziere. Vieles betrifft ja alle, nur haben die Jungen noch nicht den Fokus drauf. Wenn es um Verkehrsplanungen geht, wird das dem 17-Jährigen, der noch nicht Auto fährt, relativ egal sein. Spätestens wenn er seinen täglichen Arbeitsweg und ein Auto hat, stellt er fest, da stimmt doch was nicht.

Aber wie erreichen Sie die jungen Leute?

Die sind heute digital unterwegs. Ich muss nicht 100 Leute in einen Saal bekommen, sondern kann das digital breit streuen.

Über Facebook?

Ich glaube, nicht unbedingt. Da sind eher die 50-Jährigen - auch die sind wichtig. Aber wenn wir die Jugend ansprechen wollen, bewegen wir uns eher in Richtung Instagram. Wir haben das im Fokus, aber erst in einer Phase zwei oder drei.

Was ist Phase eins?

Die Homepage. Hier sind wir aktuell dabei, zu aktualisieren und auch neue Inhalte einzustellen. Durch das Corporate Design ist der individuellen Gestaltung per se ein gewisser Rahmen vorgegeben. Aber was Überschriften, Reiter, Angebote und vor allem Inhalte anbelangt, da haben wir Spielraum, den es noch genauer zu definieren gilt.

Was sind Ihre Lieblingsthemen?

Was ich spannend finde, ist der Entwicklungs- und Planungsausschuss, in dem ich auch bin. Dort kann man wirklich perspektivisch gestalten.

Der Bürgermeister wird nicht müde, sehr dezidiert zu betonen, dass die S-Bahn kommen wird. Sehen Sie das auch so?

Also, wir reden darüber ja schon seit 1970. Aber nachdem die B 11 im Bundesverkehrswegeplan steht und die Deutsche Bahn konkret in Planungen geht, denke ich schon. Klar, das ist nichts, was nächstes Jahr passieren wird.

Voriges Jahr hieß es, in zehn Jahren, und jetzt ist durch Corona noch mal verzögert.

Ich denke schon, dass es sukzessive kommen wird, dass immer mehr Planungen immer konkreter werden. Jetzt ging es schon um das Vorkaufsrecht entlang der geplanten Trasse. Spätestens dann, wenn es anläuft, wird es wieder extrem interessant, denn dann geht es um konkrete stadtplanerische Entwicklung. Dann bieten sich ganz neue Möglichkeiten, zu gestalten.

Sie meinen, wenn die Böhmwiese erschlossen wird und ein neuer Stadtteil entsteht?

Zum Beispiel. Natürlich ergeben sich da neue Zwänge, weil beispielsweise die Fußballplätze wegfallen. Aber das ist ja alles in der Mache. Wir haben unseren Arbeitskreis Sport, in dem ich auch bin, der sich genau mit diesem Thema beschäftigt.

Was ist ein großes Defizit in Geretsried?

Wohnraum. Mich hat das glücklicherweise nie betroffen. Aber ich finde es schlimm, wenn die Kinder von Alteingesessenen sich überlegen müssen, woanders hinzuziehen, weil sie hier nichts kaufen können. Es gibt zu wenig, und das, was es gibt, ist so utopisch teuer, dass es für eine junge Familie nicht leistbar ist.

Was kostet etwa eine Doppelhaushälfte?

In Gelting kosten die neuen Doppelhäuser um die 1,2 Millionen. Wir sind für Baugrund bei Quadratmeterpreisen von tausend Euro.

Dann unterstützen Sie vermutlich das Projekt an der Banater Straße mit 770 Wohnungen und bis zu acht Geschossen?

Natürlich wäre es vielen lieber, wenn da auch Doppelhäuser entstehen würden und das eine schöne, kleine, moderne Siedlung würde. Wenn wir in die Breite bauen, kommen die einen und sagen "Flächenversiegelung", dann müssen wir ausweichen auf die Außenbereiche, und dann kommen die nächsten und sagen, ihr macht die Natur kaputt. Wenn wir in die Höhe bauen, kommen andere und sagen, Frechheit, wir wollen hier keine Hochhäuser.

Und gleichzeitig herrscht Wohnungsnot.

Der Bürgermeister erzählt immer wieder, dass zu ihm Leute kommen, die ihn händeringend anflehen, ihnen bei der Wohnungssuche zu helfen.

Was war Ihr Motiv, in die CSU einzutreten?

Mitzuwirken. Erst einmal stand die Familie im Vordergrund und die berufliche Entwicklung. Aber irgendwann war alles in die richtigen Bahnen gelenkt, und dann habe ich gesagt: So! Oder besser gesagt, meine Frau hat gesagt, geh doch zur CSU.

Ist Ihre Frau auch politisch aktiv?

Nein, sie hat in mir sozusagen den Keim gesät. Und dann habe ich mir gedacht, warum eigentlich nicht, das probierst du mal.

In der Geretsrieder CSU gilt Gerhard Meinl als graue Eminenz. Der Bürgermeister nannte ihn im SZ-Gespräch seinen Ratgeber. Wie wollen Sie sich demgegenüber als CSU-Chef behaupten?

Herr Meinl ist Profi, er weiß, dass es nichts bringt, wenn man nur im Hintergrund die Strippen zieht. Damit ziehst du keine zukunftsträchtige junge Mannschaft heran. Als Ratgeber finde ich ihn sehr wichtig. Mir war es auch bei der Zusammenstellung des neuen Vorstands wichtig, dass man nicht sagt, alle altgedienten weg. Dann säße ich da mit einem Team aus jungen Leuten, die alle keine Erfahrung mitbringen. Da ist das Risiko da, dass man sich verrennt. Und noch schlimmer: dass man Fehler, die schon gemacht wurden, noch mal macht und dadurch Zeit, Energie und möglicherweise Image verliert. Darum wollte ich diese ausgewogene Mischung. Da ist Gerhard Meinl ganz klar mit dabei, er bringt unter anderem 24 Jahre Ortsvorsitz-Erfahrung mit. Für mich ist vieles neu.

Da greifen Sie auf das Wissen der Altgedienten zurück?

Ich habe die Wahl, mich durch eine Satzung, ein Gesetz oder andere Unterlagen zu wühlen, oder ich schreibe Gerhard Meinl eine E-Mail: Wie ist das? Dann habe ich auch den juristischen Background, dass er mir sagen kann, du musst das so machen, weil du sonst ein Problem hast.

Was möchten Sie erreicht haben, wenn Sie in zwei Jahren wieder für den Vorsitz antreten?

Dass ich in einen vollen Raum schauen kann mit vielen jungen, neuen Gesichtern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5324877
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.06.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.