Süddeutsche Zeitung

Integration:Das Migrationsparadox

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Freie Wähler Geretsried diskutieren mit dem Landtagsabgeordneten Florian Streibl über den Mangel an Arbeitskräften bei gleichzeitiger Abschiebung qualifizierter Geflüchteter.

Von Felicitas Amler, Königsdorf

Die deutsche Wirtschaft sucht händeringend Mitarbeitende. Unter den Geflüchteten gäbe es sie. Aber statt die Menschen schnellstens in der deutschen Sprache zu unterrichten und sie in Arbeit zu bringen, dringt die Politik auf möglichst rasche und strikte Abschiebungen. Um dieses Paradox hat am Donnerstagabend die Diskussion der Freien Wähler Geretsried mit Florian Streibl im "Campingwirt" am Bibisee Königsdorf gekreist. Letztlich hatte aber Streibl, FW-Landtagsabgeordneter für Bad Tölz-Wolfratshausen/Garmisch-Partenkirchen und Fraktionsvorsitzender im Landtag, keine Antwort auf die mehrmals gestellte Frage, wie sich das Problem lösen ließe.

Es waren vor allem zwei Frauen, die das Thema aus Erfahrung beleuchteten: Altbürgermeisterin und VdK-Vorsitzende Cornelia Irmer und FW-Vorsitzende Ann-Kathrin Güner, Sozialpädagogin und Leiterin der Sozialberatung der Diakonie Oberland in Geretsried. Güner erinnerte an das Jahr der Fluchtkrise 2015, über dessen Anzahl Geflüchteter man längst "weit hinaus" sei. Gleichzeitig gebe es aber die damals von Euphorie und Hilfsbereitschaft geprägte Willkommenskultur nicht mehr. Sie bat die Runde, mit Respekt und Würde über die Geflüchteten zu sprechen: "Es sind nach wie vor Menschen." Aus ihrer Sozialberatung berichtete sie ein Beispiel für die Haltung Geflüchteter. Eine Gruppe syrischer Männer sei zu ihr gekommen und habe gesagt, sie wollten gar nichts, nur arbeiten. "Und ich musste ihnen sagen: Ihr dürft nicht."

Irmer sagte, nicht einmal Menschen, die integriert seien und einen Arbeitsplatz hätten, seien davor verschont, "in einer Nacht-und-Nebelaktion abgeholt und abgeschoben" zu werden. Dies sei der Bevölkerung nicht mehr vermittelbar: "Wir brauchen die Menschen, aber sie werden abgeschoben." Die Altbürgermeisterin kritisierte, dass manche Landratsämter viel zu restriktiv handelten und ihren Ermessensspielraum nicht ausnutzten. Überdies habe die bayerische Staatsregierung über Jahrzehnte eine "sogenannte Integrationspolitik" betrieben nach dem Motto: "Eigentlich wollen wir gar keine Integration".

Streibl bestätigte, dass es in der Frage der Abschiebungen einen Ermessensspielraum gebe. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) setze sich in konkreten Fällen auch für ein Verbleiben Geflüchteter ein. Die Frage, warum diese Haltung nicht bei den Landratsämtern als Ausführenden ankomme, blieb aber offen. Gleichzeitig begrüßte Streibl das am Vortag vom Europaparlament beschlossene Migrations- und Asylpaket, wonach Flüchtende bereits an den Außengrenzen abgefertigt und die Zahl der Abschiebungen erhöht werden sollen. Der FW-Fraktionsvorsitzende betonte, es stehe nun "die legale Zuwanderung" stärker im Fokus: "Wir brauchen Zuwanderung." Im Übrigen müsse der Bund die Kommunen, in denen die Geflüchteten untergebracht werden, wesentlich stärker finanziell unterstützen.

Mehr und schnellerer Deutschunterricht, mehr Förderkräfte für Kinder in Tagesstätten und an Schulen, eine an das Duale System der deutschen Berufsausbildung angelehnte Förderung - all dies waren Wünsche aus dem Publikum. Güner sagte, man müsse sich das vorstellen: Geflüchtete lebten jahrelang rund um die Uhr beschäftigungslos auf zwölf Quadratmetern. Da sei es kein Wunder, wenn sie psychisch krank würden: "Wir machen uns die Menschen arbeitsunfähig."

Auf viele Fragen antwortete Streibl mit dem Hinweis: "Neunzig Prozent sind Bundesgesetze." Irmer dagegen sagte, es brauche unter den Entscheidern solche, die einfach den Mut hätten, ihre Ermessensspielräume auszunutzen und zu sagen: "Lass es uns machen!"

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