Süddeutsche Zeitung

Endlich:Würdigung für Wolfratshauser Weibsbilder

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Der Historische Verein bringt einen Kalender mit Biografien von 52 Frauen heraus, die prominent oder unerkannt die Geschichte der Stadt mitgeprägt haben

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

Wer diesen Kalender nicht hübsch chronologisch durchblättert, sondern - vielleicht weil die Augen der hier abgebildeten Frau so sehnsüchtig und dabei attraktiv in die Ferne blicken - im März anfängt, der wird vielleicht nicht gleich weiterlesen können. So anrührend ist die kleine Biografie, die Josef Brustmann über seine Mutter Valerie geschrieben hat. Sie ist eine der 52 porträtierten Frauen im frisch erschienenen Kalender "Wolfratshauser Weibsbilder", herausgegeben vom Historischen Verein Wolfratshausen. Unter der köstlichen Überschrift "Die Duin im Stragula" (die Delle im Linoleum) schildert der bekannte Kabarettist Brustmann das Leben seiner Mutter, die zehn Kinder hatte, von denen sie drei beerdigen musste. Ein Leben in großem Fleiß, mit viel Liebe, Hingabe und Sorge. Und eine große kleine Lebenserzählung, in der sich selbstgestrickte Socken und Handschuhe zusammen mit selbstgebackenem Kakaokuchen zu einer ergreifenden Schlusspointe zusammenfügen.

Das Spektrum der Frauen, denen jeweils zwei Kalenderblätter mit Foto und Text gewidmet sind, ist breit: Widerstandskämpferin, Hausfrau, NS-Verfolgte, kinderreiche Mutter, Marktgemeinderätin, russische Intellektuelle, Geschäftsfrau, Wirtin ... Der Historische Verein will damit zeigen, so seine Vorsitzende Sybille Krafft, dass Frauen die Geschichte Wolfratshausens genauso mitgeprägt haben wie Männer. Mit einem Unterschied: Nach Frauen sind fast keine Straßen in der Loisachstadt benannt. Einzig nach der Wirtin Kathi Kobus heißt ein kleiner Weg.

Seit die Stadträtinnen Gerlinde Berchtold, Annette Heinloth, Ulrike Krischke, Jennifer Layton, Assunta Tammelleo und Susanne Thomas fraktionsübergreifend am Internationalen Frauentag auf diesen Missstand aufmerksam gemacht haben, hat sich in Wolfratshausen einiges getan. Auf Kraffts Initiative hat sich eine Arbeitsgruppe zusammengefunden, die nach Wolfratshauser Weibsbildern geforscht und deren Leben dokumentiert hat. 44 Autorinnen und Autoren, aus Wolfratshausen, Icking, Münsing, Geretsried und München, haben den ersten auf die Stadt bezogenen Frauenkalender geschrieben.

"Bigotte Betschwestern"

"Wer weiß schon, dass Bertolt Brechts Haushälterin eine Wolfratshauserin war?", schreibt Krafft im Vorwort. Auch über die erste Frau, die 1919 als Marktgemeinderätin ein politisches Amt errang, Anna Flossmann, sei kaum etwas bekannt. Krafft, selbst Historikerin und Fernsehjournalistin, hat vier Frauenschicksale festgehalten, darunter das der Schwestern Hedwig und Hildegard Littig (1895-1973 und 1898-1968), nach deren Familie die Villa an der Beuerberger Straße 1 in Wolfratshausen benannt ist. Böse Zungen, so berichtet Krafft in der kleinen Biografie der beiden unverheirateten Frauen, hätten diese "bigotte Betschwestern" genannt. Krafft schreibt außerdem über die ukrainische Zwangsarbeiterin Anna Kubat, der Besucherinnen und Besucher auch im Erinnerungsort Badehaus in Waldram, der ehemaligen NS-Rüstungsarbeitersiedlung Föhrenwald, begegnen.

Zu den prominentesten der in diesem Kalender versammelten Frauen gehört die Dichterin, Philosophin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé. Deren "amour fou" mit dem jungen Rainer Maria Rilke während einer Sommerfrische im Jahr 1897 in Wolfratshausen hat hier zwar zu einer Straßenbenennung nach ihm geführt, bisher aber nicht zu einer nach ihr. Wolfgang Schäl hat über die imposante Intellektuelle geschrieben, deren Porträt als größtes unter allen anderen das Titelblatt ziert.

Der im Violett der Frauenbewegung gehaltene Kalender ist gerade rechtzeitig erschienen, um als Weihnachtsgeschenk gekauft zu werden. Er ist für 17,90 Euro erhältlich im Badehaus Waldram, im Isar-Kaufhaus Geretsried und in der Buchhandlung Rupprecht in Wolfratshausen

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SZ vom 27.11.2021
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