Süddeutsche Zeitung

Ein eher ernster Abend in Gelting:Halif fährt wieder Rad

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Kabarettist Christian Springer spricht im "Hinterhalt" über seine Syrienhilfe und die akut nötigen die Einsätze im Libanon

Von Christa Gebhardt, Geretsried

Nein, lustig wird es nicht an diesem Abend mit "Flüchtlingscamp und Kabarettbühne" im "Hinterhalt". Das macht Christian Springer dem überschaubaren Publikum der Geltinger Traditionsbühne von Anfang an klar. Springer hat das Kulturlokal im August 1991 gemeinsam mit gemeinsam mit Helmut Schleich und Andreas Rüttenauer als "Kabarett Fernrohr" eröffnet und ist ihr bis heute treu geblieben. Der vielfach ausgezeichnete Kabarettist ist bekannt dafür, dass er deutliche Worte findet und aneckt, wo er es für nötig hält. Aber das genügt ihm nicht, er mischt sich aktiv ein.

Bereits 2012 hat Springer den Verein Orienthelfer gegründet. Seither organisiert er mit den Mitgliedern Hilfsprojekte in Syrien, aber ebenso im Libanon, wo in Beirut am Dienstag auch sein Büro von der katastrophalen Explosion zerstört wurde.

Von seinem ereignisreichen Leben und Wirken im syrischen Bürgerkrieg will Springer im "Hinterhalt" erzählen, mit der nötigen Portion Humor, wie er verspricht. Das will dem feinsinnigen Mann aber nur schwer gelingen, seine tiefe Ergriffenheit angesichts der verzweifelten Lage in Beirut und seiner Menschen sind im Raum bis zum Schluss. Springer versucht es trotzdem: Da ist eine Geschichte aus Syrien und die freudige Nachricht: "Halif fährt wieder Rad!" Was bedeutet, Halif macht sich per Rad wieder auf, um Spenden für sein Land zu sammeln. Halif kam als Flüchtling aus Syrien nach Deutschland, spricht inzwischen gut Deutsch mit bayerischem Akzent, fand Arbeit und lernte Radfahren. Mit zwei Syrern und drei Deutschen machte er die Tour "Road to Granada" und sammelte 50 000 Euro an Spenden. Diesmal fahren sie von München nach Marseille. Wie oft wird Halif noch Radtouren unternehmen müssen?

Düstere Prognose

Der Bürgerkrieg in Syrien war nicht schnell zu Ende, wie Springer anfangs hoffte, als andere Diktatoren wie Gaddafi oder Mubarak nach kurzer Zeit gestürzt wurden. Er dauert inzwischen neun Jahre, ein Ende nicht in Sicht, so Springer, und da blickt er zu Boden: "Kriegshistoriker sagen, seit Beginn der Aufzeichnung dauern Bürgerkriege durchschnittlich 18 Jahre."

Viele Projekte für Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser hat Springer mit der Orienthilfe in Syrien angestoßen, wohl 30 Mal war er selbst dort.

Dann ist er gedanklich wieder in Beirut, in seiner inzwischen verwüsteten Altbauwohnung, in der er mit seinen Mitarbeitern nicht nur humanitäre Hilfe organisiert, sondern auch Konzerte veranstaltet und Politiker eingeladen hat, quer durch politische Anschauungen und Ideologien. Ismen sind ihm egal, das gilt für Syrien, wo in einem Krankenhaus, das er unterstützt, auf drei verschiedenen Stockwerken regimetreue Offiziere, Revolutionäre und IS-Kämpfer liegen, alle gleich verletzt, verstümmelt, versehrt. Das gilt auch für den Libanon, wo die religiös verbrämte ideologische Gemengelage kaum mehr zu durchblicken ist.

Und nun? Ein einziges Wort schrieb seine Mitarbeiterin aus Beirut: "Explosion". Springer sagt, er habe danach 14 Stunden durchtelefoniert: Informationen einholen, Helfernetze bilden, Spenden erbitten. Die Schreckensbilder, von denen die Menschen erzählen, lassen ihn nicht los. Er versucht den Libanon zu erklären, das korrupte Politiksystem, das marode Finanzwesen, die betonköpfige Hisbollah, das schrecklich komplizierte Verhältnis mit Israel.

Dazwischen berichtet er von Mohamed, der als syrischer Flüchtling mit anderen insgesamt eineinhalb Millionen Flüchtlingen in den Libanon mit seinen etwa sechs Millionen Einwohnern kam, und zurück in Syrien als Rotkreuzhelfer beschossen wurde. Ein Kriegsverbrechen. Und eine Schande für Europa, das zusehe, wie Flüchtlinge im Meer ertrinken. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Gemessen an der Einwohnerzahl müsste Deutschland 30 Millionen statt einer einzigen aufnehmen, sagt Springer.

Was macht ihm noch Mut? Dass von vier gespendeten Feuerwehrfahrzeugen nur zwei nicht hinüber sind, zwei aber ihren Einsatz im Hafen von Beirut tun konnten. Mut macht ihm, dass die Menschen in Beirut auf der Straße sind und einander helfen, mit Aufräumarbeiten, Essen, Anteilnahme. Mut macht ihm auch der Überlebenswille der Beiruter Bevölkerung. "Diese Stadt steht immer wieder auf."

Auch Springer wird mit seinem Verein nicht aufhören zu helfen. Das ist so sicher, wie das Vertrauen zu Springer groß ist. Weil er eigenes Geld in seine Hilfsprojekte investiert, stecken auch die Menschen im "Hinterhalt" ihre Geldscheine in den Opferstock und beginnen als kleinen Trost für die Kinder im Libanon den nächsten Kuscheltierkonvoi im Feuerwehrauto nach Beirut zu organisieren. Wohin man gut erhaltene und frisch gewaschene Kuscheltiere bringen kann, erfährt man demnächst von "Hinterhalt"-Chefin Assunta Tammelleo.

www.orienthelfer.de; Springers neues Buch heißt "Bitte sagen Sie die Klimakatastrophe ab. Ich habe wichtige Termine"

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SZ vom 11.08.2020
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