Süddeutsche Zeitung

Dietramszell und das Hindenburg-Erbe:Lösungen und Erlösungen

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Beim Symposium "Dietramszell und Hindenburg im Wandel der Zeit" bewachen Security-Leute den Saal, doch es bleibt friedlich. Den Historikern gelingt es, die bislang emotionale Debatte auf eine sachliche Ebene zu lenken.

Von Susanne Hauck

Ein neues Kapitel im Umgang mit der Hindenburg-Erinnerung könnte nach diesem Samstag aufgeschlagen werden. Es brauchte wohl den unverstellten Blick von Historikern, um diese unsägliche Geschichte um die Büste und die Ehrenbürgerschaft des ehemaligen Reichspräsidenten, die einen tiefen Keil in die Gemeinde Dietramszell getrieben hat, von dem toxischen emotionalen Strudel auf eine erlösende sachliche Ebene zu lenken. "Ich fühle mich befreit", gestand eine sichtlich erleichterte Bürgermeisterin Leni Gröbmaier (BLD), als sie am Ende des viereinhalbstündigen Symposiums im Gasthof Peiß zum Mikrofon griff. "Die Lösungsvorschläge liegen vor uns."

Mit knapp 150 Zuhörern war das Interesse riesengroß an der Veranstaltung "Dietramszell und Hindenburg im Wandel der Zeit", mit der die Gemeinde einen Grundstein für einen Geschichtspfad legen will. Auch wenn es anfangs nicht nach einem entspannten Nachmittag ausgesehen hatte. Das lag aber nicht an Wolfram Kastner, der 2014 in einer provokanten Kunstaktion die Hindenburg-Büste von der Klostermauer entfernt hatte - der blieb still auf seinem Stuhl sitzen. Es waren die dunkel gekleideten Security-Männer, die den Eingang zum Saal bewachten und einen verstörenden Eindruck auf manch einen Bürger hinterließen. Es sei eine Vorsichtsmaßnahme gewesen, erklärte Gröbmaier, die von Hinweisen auf geplante Störungen der Veranstaltung sprach, wie etwa die Unterbrechung der Vorträge durch laute Ratschen. Von welchen Störern das zu erwarten sei, das ließ sie offen.

Viel zu einer lockereren Atmosphäre hatte Thomas Schlemmer beigetragen. "Ihr seid nicht alleine, Hindenburg lauert an jeder Ecke", rief der Historiker vom Münchner Institut für Zeitgeschichte. "Das Problem haben viele Ortschaften." Er habe ähnliche Konflikte schon vielfach beobachtet, die erst eine Entscheidung auf der Basis eines sachlichen Diskussionsprozesses befrieden könne. Aber: "Man muss eine Lösung finden, die von der Bevölkerung mitgetragen wird." Schlemmer zog Parallelen zum umstrittenen Annaberg-Denkmal in Schliersee. Hier sei der Beschluss dazu gefallen, die propagandistische Botschaft mit einer Informationstafel und einem pädagogischen Konzept zu brechen. So etwas wie ein Patentrezept im Umgang mit dem ungeliebten geschichtlichen Erbe mochte auch Moderator und Historiker Hermann Rumschöttel nicht geben. "Dietramszell muss seinen eigenen Weg finden", sagte der frühere Generaldirektor der Bayerischen Staatsarchive unter Applaus.

Mit der Einbindung des hochkarätigen Stuttgarter Geschichtsprofessors Wolfram Pyta hatte die Gemeinde ein glückliches Händchen bewiesen. Gespannt lauschten die Zuhörer dem brillanten Redner, der den politischen Lebensweg Hindenburgs souverän von allen Seiten beleuchtete. Sein Urteil: Es war bewusstes politisches Kalkül, das den Reichspräsident zur engen Zusammenarbeit mit Hitler veranlasste. "Er konnte nicht wissen, dass sechs Jahre später Krieg und Holocaust kommen würden", beantwortete er eine Publikumsfrage. "Aber er wusste, dass durch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler der politische Pluralismus aufgegeben wurde."

Danach referierte die Historikerin Susanne Meinl über die Ausbreitung der NSDAP im Oberland. Wie die Nationalsozialisten das Ruder in Dietramszell übernahmen, das schilderte Geschichtsarbeitskreis-Mitglied Michael Holzmann, ebenso wie Hindenburgs Beziehung zum Ort, der als passionierter Jäger von 1922 bis 1932 hier Urlaub machte. Belastungen im anfangs euphorischen Verhältnis stellten sich ein, als bei der Reichspräsidentenwahl 1932 mehr Einwohner für den Emporkömmling Hitler als für ihren Ehrengast Hindenburg stimmten, ein Ergebnis, das von einer Nazi-Kampagne gegen Hindenburg beeinflusst und hinterher zur Schicksalsfrage aufgebauscht worden war.

Dass den Dietramszellern das Thema auch nach dem Ende der öffentlichen Auseinandersetzungen noch auf der Seele brennt, zeigte die anschließende Diskussion, bei der von Kastner eine Entschuldigung gefordert wurde. Andere wollen das Bild der Gemeinde endlich wieder geradegerückt sehen. Er fühle sich als Zugereister persönlich angegriffen, wenn Dietramszell immer auf das "braune Dorf" reduziert werde, kritisierte etwa Peter Wollner. Wie denn die Art und Weise der Entfernung der Büste zu bewerten sei, lautete eine weitere Wortmeldung. "Eine klare Grenzüberschreitung", so Thomas Schlemmer dazu, "aber ein notwendiger erster Schritt zur Bewusstseinsbildung." Eine Antwort hatte er auch auf die Nachfrage einer Zuhörerin, die sich fassungslos über die Wiederanbringung des Hindenburg-Reliefs an der Klostermauer im Jahr 1952 zeigte, nachdem es bei Kriegsende bereits von den Amerikanern entfernt worden war. Für den Historiker ist dieser Vorgang ebenso wie das Festhalten vielerorts an den "Hindenburg-Straßen" dem Zeitgeist der Fünfziger Jahre geschuldet, der den Reichspräsidenten noch von jeglicher Verbindung mit dem NS-Regime freisprach. Angesichts der Wirren der Nachkriegszeit habe in der Bevölkerung die Sehnsucht nach Stabilität geherrscht, die Hindenburg als Inbegriff des Konservativen ohne den Makel einer NS-Verstrickung positiv besetzt habe.

Das Schlusswort hatte die Bürgermeisterin, die ankündigte, den Inhalt der Reden zum Nachlesen auf die Homepage der Gemeinde zu stellen. Was die Umsetzung des Geschichtspfads angeht, will sie sich zeitlich nicht unter Druck setzen lassen. "Wir wollen das behutsam im Rahmen der Dorferneuerung angehen." Gleichzeitig rief sie weitere Bürger dazu auf, sich dem Arbeitskreis anzuschließen.

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SZ vom 02.12.2019
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