Süddeutsche Zeitung

Bergsteigen:Warum man 300 Mal denselben Berg besteigt

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Seit 60 Jahren steigt Gottfried Allgäuer mehrmals im Jahr auf die Benediktenwand. Es gibt Schwierigeres für Kletterer, doch die "spirituelle Aura" des Bergs zieht ihn immer wieder an.

Von Arnold Zimprich, Benediktbeuern

Ob im Sandsturm, wenn beim Wintergewitter die Blitze zucken, mit der Stirnlampe zu Mitternacht über den Maxlsteig, ob mit der Jugendgruppe, allein im metertiefen Neuschnee oder mit seinen damals zweijährigen Töchtern: Gottfried Allgäuer kennt die Benediktenwand wie kein zweiter. Mehr als 300 Mal stand er auf dem Gipfel dieses sperrigen, fast schon unförmigen Bergs, der die Blicke aus dem Alpenvorland geradezu penetrant auf sich zieht. Denn der Berg ruft den früheren Salesianer immer wieder.

Seine Kinderstube hat der durchtrainierte 65-jährige in Gschwendt - dem Benediktbeurer Ortsteil, welcher der "Benewand" am nächsten liegt. Bald zog die Familie jedoch nach München, denn Allgäuers Vater arbeitete in der Oberpostdirektion. "1958 hat er mich dann das erste Mal mit hinauf genommen." Damals ging es über das Lainbachtal, die Route ist für Mister Benediktenwand auch fast sechs Jahrzehnte später die schönste auf den 1801 Meter hohen Berg.

Seine Leidenschaft entflammte spätestens 1974 vollends, während Allgäuers Zeit als Ordensbruder bei den Salesianern Don Boscos im Kloster Benediktbeuern. "Der Ausgleich zur Betriebsamkeit im Tal, zu den ganzen Leuten um mich herum", die Zeit zum Luftholen, das ist, was Allgäuer immer noch auf die Benediktenwand und in die Berge lockt.

"Die Benewand war immer auch Trainingsplatz für große Unternehmungen in den Westalpen wie das Matterhorn oder die Dent Blanche", sagt er. Ungezählte Viertausender hat er bestiegen, dazu schwierige Routen auf viele andere Alpen- und Andenerhebungen. "Länglichen" Touren, wie Allgäuer es formuliert, gilt sein Interesse - also anspruchsvollen, langen Hochtouren über Gletscher und Felsgrate.

Doch immer wieder zieht es ihn zurück zu seiner Benediktenwand und ihrer "spirituellen Aura", wie er es nennt. "Während des Studiums bei den Salesianern war ich mehrmals mit Kommilitonen auf dem Gipfel, zum Beispiel zum Sonnenaufgang" - unvergessliche Erlebnisse, die den leidenschaftlichen Musiker prägten. Wie auch die Begegnung mit seiner Frau Helga, für die er nach sechs Jahren als Ordensbruder eine Karriere als Musiklehrer einschlug. Der Autodidakt absolvierte die staatliche Klavierlehrerprüfung und unterrichtet seit 1980 in der Musikschule Neubiberg.

"Natürlich zähle ich mit", antwortet der zweifache Familienvater etwas empört auf die Frage, ob er denn genau wisse, wie oft er der Benediktenwand schon aufs Haupt gestiegen ist. "317 Mal sind es aktuell. Erst vor zwei Tagen war ich wieder oben." Ob nun über den klassischen Ost- oder Westanstieg von der Tutzinger Hütte, über die versteckte Glaswandscharte, vom Brauneck her über die Achselköpfe, von Süden aus der Jachenau oder über eine der unzähligen Nordwandrouten wie die berühmte "Rampe-Rippe", das "Untere" und "Obere Schiefe Band" oder den "Kokattweg" - Allgäuer kennt sie alle.

"Eine Begebenheit ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Während meiner Zeit bei den Salesianern rief mich der Privatsekretär des damaligen Münchner Erzbischofs Julius Döpfner an. Hochwürden hätten gerne die Benediktenwand bestiegen. Also führte ich den Bischof in leicht abgenutzter Kleidung - Knickerbocker und Trenkerhut - auf den Berg. Es war einfach köstlich, viele Leute erkannten ihn in der ungewohnten Aufmachung erst auf den zweiten Blick. Um uns war nichts als Tuscheln: Du, war des nicht der Döpfner?!"

Doch was macht die Faszination Benewand für ihn aus?"Erst einmal kommt man der Benediktenwand als gebürtiger Benediktbeurer gar nicht aus", sagt Allgäuer und lacht. Als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre, die Benediktenwand im Schnitt fünf Mal pro Jahr zu besteigen.

"Und dann ist es für mich einfach das Gesamtpaket. Oben die senkrechten Felsfluchten der Nordwand, unten die Blumenwiesen um die Eibelsfleckalm. Oben das schroffe, alpine Ambiente, unten Trollblumen und das liebliche Alpenvorland." Welcher Gipfel in den Bayerischen Voralpen kann das noch bieten?

Die 1967 aus der Schweiz eingeführten Steinböcke machen das Berg-Paket schließlich perfekt. "Als ich das erste Mal erzählte, dass es da oben Steinböcke gibt, hielten mich viele Leute für verrückt!", erzählt Allgäuer. Aus ursprünglich vier Tieren sind inzwischen mehr als 70 geworden. "Zwischenzeitlich waren es sogar weit mehr als 100", wie Allgäuer bemerkt.

"Man muss nicht zum Nordpol"

Nun geht er bald in Rente, doch er hat noch Ziele an der Benediktenwand. "Meine Enkelinnen - die dreijährige Maia und die sieben Monate alte Nora - würde ich gerne noch mit auf den Gipfel nehmen. Und dann habe ich noch einen weiteren Traum. Ich möchte Lebe Deinen Traum klettern, eine der aktuell schwersten Kletterrouten in der Nordwand. Mit insgesamt elf Seillängen mit anhaltend hohen Schwierigkeiten bis in den VI. und VII. Grad beileibe kein Zuckerschlecken."

Aber Gottfried Allgäuer wird auch dieses "hausgemachte Abenteuer" bestehen, wie er die Touren an der Benediktenwand umschreibt. "Man muss nicht zum Nordpol, um Extremes zu erleben."

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SZ vom 03.06.2017
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