Süddeutsche Zeitung

Bad Tölz-Wolfratshausen:Im Dienst verletzt

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Das Polizeipräsidium Oberbayern-Süd hat vergangenes Jahr 738 Angriffe auf Beamte gezählt - darunter auch Fälle aus Wolfratshausen, Bad Tölz und Geretsried. Damit es erst gar nicht zu einer solchen Situation kommt, trainieren Polizisten aus der Region in Murnau die richtige Deeskalation.

Von Sophia Ulrich, Bad Tölz-Wolfratshausen

Freitagabend im Geretsrieder Stadtteil Stein. Kräfte einer zivilen Einsatzgruppe versuchen gegen einen 21-Jährigen einen Haftbefehl zu vollstrecken. Doch der wehrt sich mit Händen und Füßen - und auch seine Bekannten, die gerade bei ihm zu Besuch sind, als die Polizei klingelt, gehen auf die Beamten los. Einer versucht seinem Kumpel sogar zur Flucht zu verhelfen, indem er die Einsatzkräfte attackiert. Erst, als Streifen aus Wolfratshausen und Geretsried zur Unterstützung an der Adresse eintreffen, beruhigt sich die Situation.

Dieser aktuelle Fall vom Wochenende ist keine Ausnahme. Widerstand, Bedrohungen und gefährliche Körperverletzungen: Der Lagebericht des Polizeipräsidiums Oberbayern-Süd zur "Gewalt gegen Polizeibeamte" zeigt, dass in diesem Bereich auch im vergangenen Jahr die Fallzahlen wieder auf einem hohen Niveau waren. "Auch aus nichtigem Anlass und bei ganz alltäglichen Einsätzen kommt es immer wieder zu physischer und psychischer Gewalteinwirkung auf Einsatzkräfte der Polizei", sagt Polizeipräsident Robert Kopp.

Im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Oberbayern-Süd, der neben der kreisfreien Stadt Rosenheim auch Bad Tölz-Wolfratshausen und acht weitere Landkreise umfasst, wurden im vergangenen Jahr 738 Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamte gemeldet. Die Inspektion in Kochel am See mal ausgeklammert, wurden dabei auch mehrere Fälle von den Polizeidienststellen in der Region gemeldet. In Bad Tölz wurden Polizisten 23 Mal angegriffen, sieben Beamte wurden dabei verletzt; 16 Fälle mit fünf Verletzten meldete die Polizeiinspektion Geretsried; und in Wolfratshausen zählten die Beamten 31 Angriffe, dabei wurden fünf Beamte verletzt. Zwar sei der Trend leicht rückläufig, sagt Kopp. Vergangenes Jahr hat sein Präsidium noch 770 solcher Fälle gezählt - ein vorläufiger Höchststand. Dennoch ist die Situation für ihn inakzeptabel, schließlich versteckten sich in den Zahlen auch Angriffe auf Polizeibeamte, die bei der Überwachung und Durchsetzung der Corona-Schutzregeln passiert seien, letztlich also einen ganz harmlosen Anlass hatten.

Der Polizeibereich, der am häufigsten von Gewalt betroffen ist, ist laut dem aktuellen Lagebericht der Wach- und Streifendienst. Oliver Hanke, Koordinator des polizeilichen Einsatztrainings in Murnau, kann dies bestätigen. Zusammen mit seinem Team schult er die Beamten aus den Landkreisen Bad Tölz-Wolfratshausen, Weilheim-Schongau und Garmisch-Partenkirchen im richtigen Einsatzverhalten. Dass man im Beruf auch Gewalt erfahre, damit müsse man als Polizist leben, so Hanke. "Man kann auch naiv sein und denken, dass man ausschließlich helfen kann. Aber man wird auch auf Gewalt stoßen", sagt er. Schließlich seien Streifenbeamte auch viel auf der Straße unterwegs. Wer auf Streife geht, wird Gewalt öfter mitbekommen als jemand, der bei der Kriminalpolizei Wirtschaftskriminalität bekämpft, erklärt Hanke. Letzteres sei schließlich hauptsächlich eine Bürotätigkeit.

Ursachen dafür, dass jemand handgreiflich wird, gibt es viele. Häufig seien aber Schwierigkeiten mit Autoritäten, Alkohol oder Drogen ein Auslöser für Gewalt gegen Polizeibeamte, sagt Hanke. Das zeigt auch der Lagebericht: "54,2 Prozent der Tatverdächtigen standen zur Tatzeit unter Alkoholeinfluss, weitere 14,5 Prozent hatten vor der Tat Rauschgift und/oder Medikamente konsumiert", heißt es darin. Ein Mix aus Alkohol und Drogen sei aufgrund der sinkenden Hemmschwelle besonders problematisch, findet Hanke. Aber auch die Medien sieht er in der Verantwortung: "In den Medien wird Gewalt auch teilweise als Normalität dargestellt oder verharmlost."

Das Einsatztraining in Murnau soll die Beamten auf alle möglichen Gefahrensituationen vorbereiten. Dazu dient eine Mischung aus Selbstverteidigungs-, Schieß- und Szenarientraining. Schließlich kann Gewalt unterschiedliche Formen annehmen. So können Polizisten nicht nur verbal, sondern auch mit Händen und Fäusten, Schlag- und Schusswaffen oder Messern bedroht werden. Deshalb ist besonders die Selbstverteidigung ein wichtiger Baustein im Training. "Der Schwerpunkt ist die Deeskalation vor einem körperlichen Konflikt", erklärt Hanke. "Erst möchte man den Konflikt verbal lösen, um die Person wieder zu beruhigen." Beim Szenarien-Training indes werden Einsätze aus dem jeweils vergangenen Jahr nachgestellt. Dabei kommen in manchen Fällen unter anderem auch gepolsterte Schlagstöcke zur Anwendung. Im Anschluss findet eine Besprechung statt.

Die Erfahrungen, die Polizisten bereits mit Gewalt gemacht haben, werden grundsätzlich direkt in der Schicht aufgearbeitet, indem darüber gesprochen wird. Die Polizei hat hierfür ein System - angefangen bei Gesprächen mit dem Dienststellenleiter bis zu Gesprächen mit dem zentralpsychologischen Dienst der Polizei. "Das ist bei normalen Vorfällen in der Regel aber nicht nötig", sagt Hanke.

Natürlich sind die Polizisten auch durch eine Ausrüstung geschützt. Die persönliche Schutzweste wird über die Dauer der Schicht getragen. In Situationen, in denen mit stärkerer Gewalt gerechnet werden kann, sind die Beamten zusätzlich durch ein ballistisches Paket und einen Helm geschützt. Vor einigen Jahren wurde die Ausrüstung zudem um einen Teleskop-Schlagstock ergänzt. "Der dient der Selbstverteidigung", betont Hanke. Der Einsatz sei selten notwendig, "die Androhung reicht oft aus". Schließlich würden die Polizisten darauf trainiert, Konflikte mit Kommunikation zu lösen. "Reden und Leute mit dem Reden binden - das können sie nach der Ausbildung perfekt", sagt er.

Für eine Prognose für das Jahr 2021 ist es noch zu früh. Hanke geht aber davon aus, dass sich die Fallzahlen auf dem hohen Niveau einpendeln werden. Nach dem Vorfall in Stein am Freitagabend, ist in Geretsried jedenfalls schon wieder ein neuer Fall aktenkundig.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2021
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