Süddeutsche Zeitung

Doppelmord vor Aufklärung:Königsdorf atmet auf

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Bürgermeister Anton Demmel ist erleichtert. Doch der Schock sitzt tief in der Gemeinde - zumal nun klar ist, dass eine Verdächtige im Ort arbeitete.

Von Claudia Koestler und Peter Buchholtz, Königsdorf

"Was für eine Erleichterung, das freut mich natürlich!", sagt Königsdorfs Bürgermeister Anton Demmel (FW), als er am Freitagmittag vom Erfolg der Ermittler hört. Im Doppelmord von Höfen hat die Polizei zwei Verdächtige ermittelt: Eine 49-jährige polnische Frau sitzt bereits in Untersuchungshaft, ihr 43-jähriger Bruder befindet sich noch auf der Flucht.

"Wenn die das wirklich waren, dann bin ich schon erleichtert über die Festnahme", erklärt die Passantin Paraskevi Papadopolos. Eine andere Königsdorferin meint aber auch: "Es fehlen einem immer noch die Worte. Auch wenn man jetzt mögliche Täter hat, das Ganze bleibt unfassbar entsetzlich."

Der Schock sitzt tief, er ist noch lange nicht überwunden. Zumal mit der Ermittlung der mutmaßlichen Täter klar ist, dass eine Verdächtige zeitweise in Königsdorf arbeitete und womöglich auch lebte. Bei der festgenommenen Frau handelt es sich laut Polizei nämlich um die frühere Pflegerin des verstorbenen Mannes der 76-jährigen Hausbesitzerin, die den Angriff nur knapp überlebt hat und immer noch nicht ansprechbar ist. Die Verdächtige soll dem mutmaßlichen Haupttäter den Hinweis auf das Einfamilienhaus in Höfen gegeben haben - es handelt sich dabei um ihren Bruder, der sich bislang noch auf der Flucht befindet.

Die Ermittler schließen nicht aus, dass noch weitere Personen in den grausamen Raubmord verwickelt sein könnten. Zudem warnt die Polizei, dass der Verdächtige gefährlich und womöglich auch bewaffnet sei. Nach Ansicht des Königsdorfer Bürgermeisters werde es noch lange dauern, bis der Raubmord nicht nur vollständig aufgeklärt, sondern in dem Dorf auch verarbeitet ist.

"Wir waren ja in unserer Gemeinde noch nie so nah dran an einem Gewaltverbrechen wie in diesem Fall. Man kennt eines der Opfer, das Umfeld, die Geschichte. Da spielt es eine große Rolle, zu erfahren, warum, wieso, weshalb so etwas passieren konnte", sagt Bürgermeister Demmel.

Seit Bekanntwerden des grausamen Doppelmordes war es in der Gemeinde auffallend ruhig gewesen - bis auf die Streifenwagen, die etwa im Zehn-Minuten-Takt durchs Dorf fuhren. Zudem waren in den Morgen- und Abendstunden berittene Beamte im Ort auf Patrouille. Maßnahmen, um das Sicherheitsgefühl zu stärken. Höfen selbst wirkte noch ruhiger: Kein Kind spielte auf der Straße, keine Nachbarn plauschten über den Zaun, die Haustüren alle zu. Bürgermeister Demmel sagt, unter den rund 90 Einwohnern Höfens herrsche seit dem Raubmord "ganz, ganz große Unsicherheit".

Im Hauptort jedoch war das Verbrechen nicht permanentes Gesprächsthema auf den Straßen. Nicht einmal in der Bürgerversammlung, die am Vorabend des Fahndungserfolges im Gasthof zur Post stattfand. Etwa 50 Bürger, überwiegend aus dem Dorfkern und dem unmittelbar angrenzenden Weiler Osterhofen, waren dazu versammelt. An den Tischen wurde zwar rege diskutiert - über Autos, Traktoren, Handwerkerrechnungen. Einzig ein Mann mit norddeutschem Idiom fragte in die Runde, ob es im Dorf Verunsicherung gäbe. "Scho, a bisserl", war die lakonische Antwort. Schon ebbte es wieder ab, das Thema. Unweit saß ein Königsdorfer Geschäftsmann und freute sich: "Guat geht's, glücklich samma." Trotz der Geschehnisse? "Ah, der Mord, ja na". Wie Blei die Stille, die folgte.

Bürgermeister Demmel erklärt diese unterschiedlichen Eindrücke so: "Höfen ist ein extriger Weiler, ein Mikrokosmos quasi." Die dortigen Bewohner seien eine eingeschworene Gemeinschaft, sie verstünden sich vor allem als Höfener, nicht in erster Linie als Königsdorfer. Und so herrsche eben insbesondere bei den unmittelbar vom Gewaltverbrechen berührten Nachbarn große Unsicherheit, weniger im Hauptort. Obwohl auch manche Königsdorfer Angst hätten, sagte er. Einzelne hätten sich deshalb rat- und hilfesuchend an die Gemeinde oder die Polizei gewandt. Auch der Pfarrer habe bei manchen Beistand geleistet, die die Vorfälle schwer bedrückten.

Ihn als Bürgermeister treibe das Gewaltverbrechen mitten in dem bayerischen Bilderbuchdorf um. "Das beschäftigt mich. Nicht nur, weil ich nicht weit weg im Ortsteil Schönrain lebe und auch als einer der ersten am Tatort war", sagte er. Seit knapp 30 Jahren ist Demmel Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und wurde deshalb in der Nacht zum Faschingssonntag von der Sirene in den Einsatz gerufen. "Samstagnacht, da denkt man an alles, ein Brand, ein Unfall. Aber nicht an eine Wohnungsöffnung."

Er sah die Polizisten ins Haus gehen. Plötzlich schrie einer: "Sanitäter!" Demmel sagt: "Diesen Schrei, den werde ich nie vergessen können. Der ging durch Mark und Bein." Und es war ihm spätestens in dem Moment klar, hinter der Türe mussten sie auf eine Szenerie gestoßen sein, die unvorstellbar war. "So brutal, das hätte auch für acht Morde gereicht", wird seither im Ort gemutmaßt.

Als Bürgermeister stellte Demmel den Raubmord und seine Folgen deshalb in der Bürgerversammlung am Donnerstag allen anderen Themen voran. Er habe "nie gedacht, dass ein solch schweres, grausames Verbrechen in unseren Breitengraden möglich ist". Man lebe zwar nach wie vor in einem sicheren Land, war sich Demmel bewusst. Aber: "Wenn man plötzlich selbst betroffen ist oder selbst sehr nah dran ist an einem solch grausamen Verbrechen, hilft die Statistik gar nichts, die Verunsicherung ist da." Er wünschte der Überlebenden, die er ganz bewusst "unsere Mitbürgerin" nannte, "alles, alles erdenklich Gute und möglichst baldige Genesung". Und er hoffte auf baldmöglichste Aufklärung der Tat. Dass die Polizei schon am darauffolgenden Tag einen großen Schritt hin zur Aufklärung bekanntgeben würde, wusste er da noch nicht.

Allerdings hatte bereits am Mittwochabend eine Informationsveranstaltung der Polizei für die Höfener Anlieger und umliegenden Nachbarn, etwa 130 Bürger, stattgefunden. Die Ermittler hätten an diesem Abend in Demmels Ohren bereits sehr zuversichtlich geklungen. "Das hat uns alle hoffnungsvoll gestimmt, dass da ein Erfolg in Aussicht sein könnte."

Inzwischen kristallisierte sich auch heraus, wann genau das Verbrechen geschah: in der Nacht zum 23. Februar. Offenbar waren die Täter danach über die B 11 auf die Garmischer Autobahn 95 geflohen. Der rasche Ermittlungserfolg ist der Spurensicherung geschuldet: In der Nähe des Tatorts hatten sie laut Polizei einen Gegenstand mit einem vollständigen DNA-Muster gefunden, das mit Spuren im Haus übereinstimmte. Weil der 43-jährige Verdächtige bereits polizeibekannt war, ergab ein Abgleich der DNA in der bundesweiten Datenbank den Treffer.

Die Nachricht vom Ermittlungserfolg verbreitete sich am Freitag wie ein Lauffeuer unter den Königsdorfern. Eine ältere Dame, die nicht namentlich genannt werden wollte, sagte: "Ich bin erleichtert, aber auch immer noch entsetzt über diese Brutalität. Das hat es früher nicht gegeben."

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Quelle:
SZ vom 11.03.2017
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