Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Kleine Auszeiten vom schweren Alltag

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Im Alleinerziehenden-Treff in Bad Tölz geben sich Mütter und Väter gegenseitig Rat. Außerdem können sie an Vorträgen, Kursen und Freizeiten teilnehmen. Nun wünscht sich die Gruppe eine Supervision.

Von Claudia Koestler, Bad Tölz

Wie schwer es ist, Job und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen, davon wissen viele Eltern heute ein Lied zu singen - gerade in den Zeiten der Corona-Pandemie. Doch wer sein Kind alleine großzieht, steht noch einmal vor ganz anderen Hürden. Betreuung, Kosten, Zeit - all das fordert Alleinerziehende immens heraus. In der Folge sind viele von Armut bedroht. In Deutschland ziehen 2,2 Millionen Mütter ihre Kinder ohne Partner groß, dazu kommen noch einmal knapp 410 000 Väter - diese Zahl hat das Statistische Bundesamt für 2019 veröffentlicht. Sie mögen alleinerziehend sein, aber zumindest im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen sind sie nicht ganz alleingelassen: Beim Alleinerziehenden-Treff können sich Mütter und Väter einmal im Monat austauschen, einander Trost und vor allem wertvolle Tipps und Ratschläge geben, um den Alltag zu bewältigen.

Nun aber braucht die Selbsthilfegruppe selbst Hilfe: Sie wünscht sich eine gemeinsame Supervision als Hoffnungsanker in naher Zukunft, wenn die Pandemie wieder ein Miteinander erlaubt. Denn das Virus hat auch ihre Arbeit einschneidend behindert. "Der Alleinerziehendentreff ist 2009 gestartet", sagt Ilka Öhrlein von der Diakonie Oberland, die als hauptamtliche Unterstützerin der Gruppe fungiert. Damals habe bei einer Pfarrkonferenz eine Referentin des Alleinerziehenden-Referats in München in der evangelischen Kirche in Bad Tölz gesprochen. Dekan Martin Steinbach habe sie daraufhin angesprochen und die Gründung einer Selbsthilfegruppe angeregt: "Da machen wir was, gell?", zitiert ihn Öhrlein. "Ich hatte viele Alleinerziehende in der Beratung, daher wusste ich, dass der Bedarf durchaus gegeben war", erklärt sie.

Gemeinsam mit einer alleinerziehenden Mutter arbeitete Öhrlein an der Realisierung des Treffs. Im evangelischen Gemeindehaus in der Tölzer Schützenstraße waren schnell die passenden Räumlichkeiten gefunden. Seit elf Jahren können sich Alleinerziehende am jeweils zweiten Samstag des Monats bei Kaffee und Kuchen in angenehm entspannter Atmosphäre treffen. Dabei können sich Mütter und Väter ungestört unterhalten, sich informieren und Kontakte knüpfen. Während des Zusammenseins beschäftigen erfahrene Betreuerinnen und Betreuer die Kinder im nebenan gelegenen Kindergarten "Arche Noah", die so Spiel und Spaß mit anderen Mädchen und Jungen erleben können, bei denen eben auch ein Elternteil nicht zu Hause wohnt.

"Der Alleinerziehenden-Treff soll von allen gemeinsam getragen und gestaltet sein. Erfahrungen können ausgetauscht werden, und man kann sich gegenseitig unterstützen", bringt es Öhrlein auf den Punkt. Vor etwa sechs Jahren zog die damalige ehrenamtliche Leiterin des Treffs weg, Claudia Schneider übernahm die Funktion. Sie wird seit zweieinhalb Jahren in der Leitung der Gruppe von Cornelia Lintow unterstützt.

Neben der Möglichkeit, mit anderen ins Gespräch zu kommen, die in der selben Situation sind, bietet der Alleinerziehenden-Treff auch weiterführende Informationen. Viele Termine, die meist ein Jahr im Voraus geplant werden, stehen unter einem bestimmten Thema. Mal wird eine Referentin oder ein Referent eingeladen, die oder der beispielsweise über juristische Belange oder psychologische Unterstützungsmöglichkeiten bei schwierigen Kindern spricht. Mal gibt es Tipps zu Wellness und Entspannung. Auf dem Programm stehen auch kunsthandwerkliche Angebote, etwa ein Kurs im Cartoon-Malen. Und saisonale Anlässe werden zum Beisammensein genutzt: Die Teilnehmer feiern gemeinsam Fasching oder ein Sommertreffen mit Eisessen für all jene, die nicht im Urlaub sind. Ein Höhe- und Fixpunkt im Jahresreigen ist der gemeinsame Tagesausflug zusammen mit Alleinerziehenden aus München. Bis zu 40 Personen seien dann unterwegs, sagt Schneider, zum Beispiel als es in den vergangenen Jahren an den Kochelsee, den Tegernsee oder in die Eng ging.

Die regulären Treffen beginnen immer mit einer Vorstellungsrunde. Denn es gebe unter ihnen zwar einige, die regelmäßig kommen, andere aber seien eher sprunghaft oder nutzten das Angebot nur ein paar Mal gezielt, so Schneider. Die Gruppe unterliege einer steten Dynamisierung, mal seien viele Mütter und auch Väter mit Kleinkindern darunter, mal mehr mit Kindern im Teenager-Alter. Dementsprechend änderten sich auch die Fragen, die dann gestellt und gemeinsam besprochen werden. Wer frisch getrennt sei, brauche oft einfach einen Raum, um den Frust und den Schock loszuwerden. Wer schon länger in der Situation sei, benötige manchmal konkrete Tipps, vor allem, wenn es "Multiproblemlagen" gebe, wie es Öhrlein nennt.

Zum Treff kommen viele über Mundpropaganda. Eine Anmeldung ist zwar nicht nötig, wird aber grundsätzlich gerne gesehen, damit disponiert werden kann. Und das nicht nur in Sachen Tee und Kuchen, sondern eben auch, um die Betreuung der Kinder sicherzustellen.

Cornelia Lintow will den Treff in ihrem Terminkalender nicht mehr missen. "17 Jahre lang war ich mit meinem Partner zusammen und dann plötzlich alleine. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl, und man muss ganz von vorne beginnen - und gerade das ist nicht leicht", sagt sie. Ihr habe es jedenfalls "sehr geholfen, zu sehen, dass man nicht alleine ist, dass andere Ähnliches erlebt, aber auch geschafft haben, und mir tut der Austausch weiterhin gut". Auch Claudia Schneider schätzt die Freundschaften, die sie hier knüpfen konnte. Gerade Samstag sei ein perfekter Tag dafür. Denn wenn andere am Wochenende zu ihren Familien fahren und alle zusammen sind, fällt Alleinerziehenden oft ihre eigene Situation noch deutlicher auf - und der Treff kann dann auch ein wenig Familienersatz sein. Außerdem, sagt Schneider, sei ihr Sohn ein Einzelkind: "Ihm tut es gut, wenn er sich mit anderen hier zum Spielen treffen kann." Die Leiterinnen sorgen derweil dafür, dass das Ambiente stimmt, es gibt Getränke und einen Knabbertisch, ausreichend Sitzgelegenheiten und eben die Kinderbetreuung; dazu kommt die Organisation der Referenten.

Die Corona-Pandemie hat nun auch den Treff vor große Herausforderungen gestellt. Nur knapp die Hälfte aller Termine konnte 2020 mit Hygienekonzept und Abstand veranstaltet werden. "Wir hoffen, dass wir bald wieder durchstarten können", sagt Öhrlein. Dann auch möglichst mit einem konkreten Lernziel für die Zeit nach der Pandemie: einer Supervision für die Gruppenleiter. "Denn das ist es, was uns noch fehlt - und uns nicht nur weiterbilden, sondern uns auch noch weiter zusammenschweißen würde", ist Lintow überzeugt. "Je besser die Treffen laufen, desto mehr Schwung und Kraft hat man anschließend wieder für den Alltag", sagt Schneider.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2021
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