Süddeutsche Zeitung

Veröffentlichung:Das Gift in den Worten

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Der Münchner Historiker Maximilian Strnad hat über die Ehe zwischen Juden und Nicht-Juden unter dem NS-Regime geschrieben. Die beigefügten Fotos erzählen dazu noch einmal mehr

Von Dirk Wagner

Wörter können sein wie winzige Arsendosen", hatte Viktor Klemperer mal über die Sprache im Nationalsozialismus notiert: "Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da." Wie sehr solches Gift der Nazis noch in die Nachkriegszeit hinein wirkte, macht der Münchner Historiker Maximilian Strnad in seiner Dissertation "Privileg Mischehe?" fest (im Wallstein Verlag erschienenen). Mit dem Begriff der "privilegierten Mischehe" wurden unter der Naziherrschaft Ehen bezeichnet, in denen ein männlicher Nicht-Jude mit einer Jüdin verheiratet war. Privilegiert wurde deren Beziehung genannt, weil die jüdische Ehefrau anders als die anderen Juden zum Beispiel keinen Judenstern tragen musste. Galt allerdings nach den Rassengesetzen der Nazis der Ehemann in solchen Mischehen als Jude, dann musste er sehr wohl einen Judenstern tragen. Schließlich galt der jüdische Mann in der aberwitzigen Rassenlehre der Nazis als besonders gefährlich. Denn er würde die "arische" Frau schwängern und damit das angeblich deutsche Blut beider Kinder verunreinigen. Trotzdem wurden auch solche offiziell "nicht-privilegierten Mischehen" in der Öffentlichkeit als "privilegiert" angesehen, denn auch hier bliebt der jüdische Ehepartner zunächst von den Deportationen verschont.

"Das waren ja keine Privilegien im Sinne von Bevorzugungen. Betroffene wurden nur von manchen Maßnahmen ausgenommen", sagt Strnad über den ohnehin falschen Wortgebrauch. An zahlreichen Beispielen zeigt er darum auf, wie Mischehen in der NS-Diktatur sanktioniert und verfolgt worden sind. So galt auch für die jüdischen Mischehepartner das 1938 eingeführte Verbot für Juden, Theater, Kinos und Bibliotheken zu besuchen, sowie Konzerte und Aufführungen jeglicher Art. "Schließlich wurde ihnen sogar das Betreten von öffentlichen Plätzen, Parkanlagen, das Wandern in bestimmten Waldgebieten und das Verweilen auf Parkbänken verboten. Diese Handlungsräume standen den anderen Familienmitgliedern in Mischehen weiterhin prinzipiell offen", schreibt Strnad und macht sogleich deutlich, dass diese von den Nazis beabsichtigte "Asymmetrie der unterschiedlichen Partizipationsmöglichkeiten" auch Neid und Missgunst zwischen den Partnern säen konnte und sollte.

So fühlte sich in einem Beispiel ein jüdischer Ehemann von seiner nicht-jüdischen Frau ausgegrenzt, weil sie ohne ihn mit Freunden Konzerte besuchte, zu denen er nicht gehen durfte. Dabei hätten ihn Konzerte eigentlich gelangweilt. "Eine Ehe kann solche Unterschiedlichkeiten normalerweise aushalten, aber jetzt werden sie zur Belastung", resümiert Strnad, der in seinem Buch auch berufliche Benachteiligungen von Mischehen aufzeigt, sowie die daraus resultierenden wirtschaftlichen Einbußen. Oft wurden die Mischehen darum von deren nicht-jüdischen Familien unterstützt. Bisweilen kamen aber auch dabei Konflikte auf, wenn Teile jener Familien antisemitisch eingestellt waren.

"Das Bild, was wir heute noch haben, ist: Die Mischehen haben eigentlich alle überlebt, und ihnen sei nicht sonderlich viel passiert, eben aufgrund dessen, dass sie offiziell von Deportationen ausgenommen waren", sagt Strnad. Doch er fügt hinzu: "Es ist aber so, dass vor allem ab 1943 vielfach nur noch die jüdischen Mischehepartner übrig sind. Der Rest der deutschen Juden ist da bereits deportiert." Die Nazis seien dann aber auch hinter allen übrigen Juden her gewesen. So starben in den letzten drei Jahren des Regimes auch Tausende Juden, die in Mischehe lebten. "Trotzdem blieb in der Nachkriegszeit die Erzählung präsent, dass Juden aus Mischehen nicht verfolgt worden wären. Folglich wurde den Mischehen auch von anderen Opfergruppen sehr viel Skepsis entgegengebracht", sagt Strnad. Er zeigt auch Benachteiligungen der Mischehen in der Nachkriegszeit auf. Denn es fühlten sich weder die jüdischen noch die christlichen oder nicht-konfessionellen Hilfsorganisationen für sie zuständig.

Für die Veröffentlichung im Wallstein Verlag hat Strnad seine Dissertation über die "Handlungsräume ,jüdisch-versippter' Familien 1933 - 1949" mit Privatfotos angereichert. "Anhand solcher Fotos lässt sich ganz gut zeigen, dass - obwohl natürlich die Verfolgung den Alltag der Menschen sehr stark geprägt hat - die Leute versucht haben, so etwas wie ein Leben aufrecht zu halten", sagt er über die Bilder. Diese stigmatisieren die Menschen eben nicht als Opfer; sie zeigen sie vielmehr so, wie sie sich selbst inszenierten.

Da sieht man zum Beispiel einen Mann mit seinem Kind auf einer Wiese. Das Bild verrät nicht, dass dieser Mann seine Tochter im Freien in Holzkirchen treffen musste, weil er als Jude den Münchner Großraum nicht verlassen durfte, sein getauftes Kind wegen der Bombenangriffe auf München aber in Lenggries lebte. Die zweite, 1946 geborene Tochter des Mannes, hatte dieses Foto mit anderen Dokumenten dem Stadtarchiv überlassen. "Wenn ich über meine Eltern spreche, dann muss ich sagen: Es ist uns nie Hass gepredigt worden, nie Vergeltung", sagt sie. Vieles von dem, was sie als Kind in der Familie erlebte, habe sie nicht verstanden - weil über die grausamen Erlebnisse in der Nazizeit nicht geredet wurde. Stattdessen sah sie ihre Eltern als Menschen, die sich sozial engagierten. Ihr Vater hatte im Nachkriegsdeutschland einige Ehrenämter. "Er hat sich in diesem Land nach dem Krieg wieder eingesetzt", sagt die Tochter. Und dass sie besonders stolz darauf sei, dass die Nazis ihre Eltern nicht "umdrehen" konnten.

Krankheitsbedingt muss Maximilian Strnad die ursprünglich geplante Online-Präsentation seines Buchs aus dem NS-Dokuzentrum am Dienstag, 27. April, absagen. Ein Ersatztermin wird noch bekannt gegeben.

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SZ vom 27.04.2021
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