Süddeutsche Zeitung

Urteil:Mieter bricht in eigene Wohnung ein - völlig zu Recht

Lesezeit: 2 min

Von Stephan Handel

Die Unterscheidung von Besitz und Eigentum macht nicht nur Jura-Studenten in den ersten Semestern Probleme, sondern auch wahrscheinlich den meisten juristischen Laien, die den Unterschied im Alltag wohl sogar für bedeutungslos erachten. Dass die beiden Begriffe jedoch Relevanz auch bei vordergründig klarliegenden Sachverhalten besitzen können, das zeigt ein Fall, der nun vor dem Münchner Amtsgericht verhandelt wurde.

Es ging um eine Wohnung im Westend - nichts besonderes offenbar, ein Zimmer, möbliert. Der Vermieter, ein Immobilien-Unternehmen, schloss im Dezember 2016 mit dem Mieter einen Vertrag; die Miete wurde vom Jobcenter bezahlt. Das ging wenige Monate gut, aber eines Tages im Mai erklärte der Vermieter dem Mieter telefonisch: "Das Amt zahlt keine Miete mehr! Ich schmeiß' Sie raus! Ich räume Sie!"

Diese Drohung erging an einem Dienstag. Als der Mieter am darauffolgenden Tag gegen 16 Uhr zu seiner Wohnung kam, musste er feststellen, dass das Schloss ausgewechselt worden war. Er rief die Polizei, diese konnte jedoch auch nichts machen - zumindest aber vermittelten die Beamten für den selben Abend ein Treffen zwischen Vermieter und Mieter. Dennoch wurde diesem weiterhin der Zutritt zu seiner Wohnung verwehrt - die Angestellten des Vermieters erklärten, sie würden nur einer dritten Person gestatten, die Wohnung zu betreten, um die notwendigsten Dinge herauszuholen, nicht aber dem Mieter selbst.

Der griff wenig später zur Selbsthilfe - in der Nacht, zwischen 1 und 3 Uhr früh, brach er in seine eigene Wohnung ein. Als die Vertreter des Vermieters das am nächsten Morgen feststellten - sie waren gekommen, um die Wohnung leer zu räumen -, riefen sie die Polizei. Die aber erklärte sich für nicht zuständig - es handle sich um ein zivilrechtliches Problem. Sobald der Mieter aber den Beamten die Wohnungstür geöffnet hatte, da hatten sich die Angestellten des Vermieters hineingedrängt und allen persönlichen Besitz aus der Wohnung geräumt.

Der Mieter wehrte sich gerichtlich gegen das Vorgehen des Vermieters - und bekam vor dem Amtsgericht Recht. Dabei ging es genau um den Unterschied zwischen Besitz und Eigentum - und um einen weiteren juristischen Begriff, die "verbotene Eigenmacht": Der Vermieter war der Eigentümer der Wohnung, der Mieter aber war der Besitzer - und dieser darf sich wehren, wenn jemand anderer in seinen Besitz eingreift, sogar der Eigentümer der Wohnung.

Allerdings besagt das Gesetz, dass das sofort geschehen muss. Was aber bedeutet "sofort" in diesem Fall? Die Wartezeit bis nach Mitternacht war in diesem Fall in Ordnung, fand der Richter: Der Mieter "musste sich um 19 Uhr nicht auf eine körperliche Auseinandersetzung einlassen, sondern durfte noch ein paar Stunden warten, um sich in der Nacht wieder in den Besitz seiner Wohnung zu setzen".

Der Vermieter hätte sich einen Räumungstitel besorgen müssen - den Mieter auf eigene Faust aus der Wohnung zu schmeißen, sei nicht in Ordnung: "Gerade auf einem Wohnungsmarkt, der wie der in München derart angespannt ist, kann ein Verhalten wie das der Beklagten schlicht nicht geduldet werden." Das Urteil ist rechtskräftig. (Az 461 C 9942/17)

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Quelle:
SZ vom 27.01.2018
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