Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Ursula Ehler:Wehe, man nannte sie Muse

Lesezeit: 1 min

Die Frau und Ko-Autorin von Tankred Dorst ist im Alter von 84 Jahren in Berlin gestorben.

Von Christine Dössel

Ursula Ehler konnte man bei Premieren leicht erkennen, so zierlich und klein sie auch war. Mit ihrem roten Lockenschopf leuchtete sie adrett aus der Menge heraus. Oder man erblickte zuerst den schwer zu übersehenden Tankred Dorst in seiner so gottväterlichen Erscheinung, dann war klar: An seiner Seite, da ist Ursula Ehler, seine Frau. Die beiden waren als Paar symbiotisch, unzertrennlich. Er: leise, milde, scheu. Sie: eine resolute Fränkin, quirlig und direkt. Bis zu seinem Tod 2017 - er starb mit 91 Jahren - sah man sie immer nur zusammen. Auch die zahlreichen Stücke, mit denen Dorst einer der wichtigsten und meist gespielten Dramatiker Deutschlands wurde, schrieben sie seit 1971 gemeinsam. Es hieß dann immer "Mitarbeit: Ursula Ehler". Für eine gleichberechtigte Autorennennung war die Zeit noch nicht reif. Wenn jemand sie Dorsts "Muse" nannte, wurde Ehler wild.

Kennen gelernt hatten sie sich Ende der Sechziger im Münchner Marionettentheater Kleines Spiel, wo Dorst erste Stücke schrieb und Ehler die Puppen führte. Die Bambergerin, geboren am 10. November 1939, hatte in München Bildhauerei studiert und arbeitete von 1961 bis 1965 als Bibliothekarin in der Staatsbibliothek. Sie war auch Regieassistentin und Drehbuchautorin. In Ko-Autorenschaft mit Dorst entstanden Stücke wie "Eiszeit", "Auf dem Chimborazo", "Merlin oder das wüste Land", "Ich, Feuerbach", "Karlos", "Herr Paul", um nur einige der rund 40 Titel zu nennen. 2005 bekamen sie den kulturellen Ehrenpreis der Stadt. 2012 den Theaterpreis "Faust" für ihr Lebenswerk. Zu letzterem zählt auch die "Ring"-Inszenierung 2006 in Bayreuth.

"Unser Leben ist ein Gespräch", sagten sie. Und im gemeinsamen Gespräch am Teetisch entstanden auch die Stücke und Dialoge, mit Kugelschreibern in schmale Hefte geschrieben, später mit Schreibmaschine abgetippt. Gedanken und Notizen für künftige Texte lagerten in dem legendären Apothekerschrank in ihrer Schwabinger, später Berliner Wohnung - ein unerschöpfliches Ideen-Reservoir. Offen und neugierig, wie sie waren, reisten sie viel, jetteten für die Bonner Biennale durch ganz Europa auf der Suche nach Stücken junger Autoren. Am Montag ist Ursula Ehler im Alter von 84 Jahren in Berlin gestorben. Beerdigt werden soll sie in München-Bogenhausen. Dann ist sie wieder bei ihrem Mann.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6408327
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.