Süddeutsche Zeitung

Unterkunft für Flüchtlinge:Sprayer verschönern die Bayernkaserne

Lesezeit: 2 min

Von Franziska Koohestani, Freimann

In gleißender Frühsommersonne schütteln sie Sprühdosen und schwingen Pinsel. Die fünf Straßenkünstler stehen, mit Atemschutzmasken ausgestattet, auf Hebebühnen, um hoch konzentriert jede Stelle eines 350 Quadratmeter großen Wandbildes zu bemalen. Es befindet sich auf der Außenwand der gerade entstehenden Flüchtlingswerkstatt in der Bayernkaserne an der Heidemannstraße 60. "Ein Platz für alle" heißt das Projekt, das an diesem Wochenende jeweils von 14 Uhr an Farbe in den oft öden Alltag der Erstaufnahmestelle für Asylbewerber bringt.

Fünf Profis schaffen schon seit Tagen einen farbigen Rahmen...

...wirklich bunt soll das Leben in und um die Freimanner Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne aber erst an diesem Samstag und Sonntag werden.

Also eben dann, wenn der Begriff der Willkommenskultur...

...in Realität übersetzt werden wird.

Bei einem Straßenkunst-Fest können Flüchtlinge, Freimanner Nachbarn, Kinder und Erwachsene unterschiedliche Angebote wahrnehmen, deren gemeinsames Ziel es ist, den Ort zu verschönern. Dazu gehören das Gestalten der Außenmauer, ein Strickkurs, Breakdance-, Hip-Hop- und Zirkus-Workshops. Schon seit ein paar Tagen fertigen die Street-Art-Profis Fraubath, Mr. Woodland und "Der Blaue Vogel" ein riesiges Wandbild an, das pünktlich zum Fest über all den Mitmach-Aktionen schweben soll.

"Es soll sich selbst erklären"

Zu sehen sind Wolkenlandschaften mit Schlössern, Moscheen und der Frauenkirche. Autos rasen entlang der Städte, die in einen Fantasiehimmel gebettet sind. Ein Kamel trottet, eine voll beladene Schildkröte kriecht langsam voran - hoch oben fliegt symbolisch ein blauer Vogel. Alle Protagonisten der Landschaft befinden sich auf der Reise. Auch die Zuschauer, die an diesem heißen Tag auf kleinen Rasenflächen sitzen, haben lange und beschwerliche Reisen überstanden. Die Flüchtlinge beobachten durch die Gitterstäbe eines Zaunes, was auf der anderen Seite entsteht. "Das Bild kann ihnen zeigen, dass wir uns damit beschäftigen, was sie erlebt haben", erklärt Mr. Woodland. Der 33-Jährige sprayt bereits, seit er ein Teenager ist, er hat seine Leidenschaft nun zum Beruf gemacht. "Wirklich verstehen können wir es sowieso nie, aber es wenigstens versuchen", fügt er hinzu. Sein Versuch ist die teils gesprayte und teils gemalte Schildkröte, welche statt ihres Panzers mehrere Wohnheime transportiert. In erster Linie soll sie Offenheit symbolisieren, genaue Interpretationen möchte der Künstler jedoch dem Betrachter überlassen: "Es soll sich selbst erklären", sagt er.

Julia Schmitt-Thiel, Geschäftsführerin des Stadtteil-Kulturzentrums Mohr-Villa, organisiert das Projekt gemeinsam mit Partnern und Freiwilligen. Sie sieht in der Figur der Schildkröte eine weitere Metapher: "Die Schildkröte hat viel dabei. So wie die Menschen hier. Sie haben symbolisches Gepäck: einen Rucksack voller Fluchterlebnisse und -erfahrungen." Damit die Flüchtlinge von eben diesen oft traumatischen Erlebnissen abschalten können, ist das geplante Projekt von besonderer Bedeutung. Vor allem aber sollen Vorurteile überwunden werden, indem sich Anwohner und Flüchtlinge begegnen. Die Street-Art empfindet Schmitt-Thiel als geniales Vehikel. Besonders ärgert sie sich allerdings über den Zaun, der die Flüchtlinge noch von den Künstlern trennt. Der macht einen Austausch schwieriger, wenn auch nicht unmöglich.

Über das Künstlerquartier in Freimann aufmerksam geworden

Fraubath, alias Anna-Louise Bath, erzählt beispielsweise, ein junges, tschetschenisches Mädchen habe ihr bereits voller Begeisterung ihr Skizzenbuch gezeigt. Auf Anna-Louise sind die Organisatoren zufällig über ein neues Künstlerquartier in Freimann aufmerksam geworden. Durch den Street-Art-Blogger Sven Miller entstand der Kontakt zu Mr. Woodland und den drei Künstlern von "Der Blaue Vogel".

Letztere haben bereits im September 2014 ein Wandbild in der Kleiderkammer der Bayernkaserne gefertigt, auch damals gemeinsam mit den Flüchtlingen. Robert Posselt, Samuel Feustel und Darko Pacalos, den die anderen beiden liebevoll den "praktischen Kroaten" nennen, haben das Rahmenkonzept für das Bild entwickelt. Die einzelnen Elemente entstehen jedoch ohne Skizzen und während des Malprozesses selbst, je nach Ermessen der Künstler. Die Arbeit kommt gut voran. Obwohl das Wetter schweißtreibend ist, eignet es sich zum Sprayen besser als Regen, da die Farbe bei Hitze schneller trocknet. "Das Anstrengendste an dem Bild ist eigentlich nur der Lärm", sagt Samuel lachend und meint damit die Bauarbeiten an der momentan entstehenden Flüchtlingswerkstatt, die künftig Asylbewerbern Orientierung und Beschäftigung bieten soll. Doch das nehmen die Graffiti-Akteure gerne in Kauf.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2478560
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.05.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.