Süddeutsche Zeitung

Unfallatlas:Das sind die gefährlichsten Stellen im Münchner Stadtverkehr

Lesezeit: 3 min

Von Linus Freymark und Dominik Hutter, München

In einem Viertelkreis zieht sich der rote Strich durch den Münchner Osten. Er beginnt an der Richard-Strauss-Straße, macht einen Schlenker über den Innsbrucker Ring und folgt der Chiemgaustraße, wo er schließlich die Farbe wechselt und Dunkelblau wird. Zusammen mit gelben und orangefarbenen Passagen schließt sich der Kreis auf der Karte wieder an der Richard-Strauss-Straße.

Der Mittlere Ring, Münchens wichtigste und stauträchtigste Trasse, ist auch einer der berüchtigtsten Unfallschwerpunkte der Stadt. Nirgendwo sonst kracht es laut dem Unfallatlas des Statistischen Bundesamtes öfter als auf der Straße, die den offiziellen Namen B 2R trägt. "R" für Ring. Im negativen Sinne mithalten kann da nur noch die Landsberger Straße - sie ist als einzige ebenfalls auf der interaktiven Karte rot eingezeichnet. Das bedeutet: Im Jahr 2017 hat es dort zwischen 60 und 106 Unfälle mit Verletzten oder Toten gegeben.

Für ihre Zusammenstellung, die unter unfallatlas.statistikportal.de im Internet abrufbar ist, haben Statistiker die von den Polizeidienststellen gemeldeten Unfälle, bei denen Menschen verletzt oder getötet wurden, und die dazugehörigen Geodaten gesammelt und ausgewertet. Dass in München neben dem Mittleren Ring die Landsberger Straße als Unfallschwerpunkt markiert ist, folgt einem Muster, das in vielen deutschen Städten zu beobachten ist: Besonders gefährlich geht es - neben den Ringstraßen - auf den großen Ausfalltrassen zu. In München trifft das vor allem auf die Ammersee-, die Kreiller-, und den nördlichen Teil der Leopoldstraße zu. Einen traurigen Rekord hält die Lerchenauer Straße: Hier gab es 2017 gleich zwei Unfälle, bei denen ein Mensch ums Leben kam.

Insgesamt sind auf Münchens Straßen rund 872 000 Fahrzeuge zugelassen. Im vergangenen Jahr gab es in der Stadt und im Landkreis München 53 229 Unfälle, bei denen 7276 Menschen verletzt wurden. Im Zuständigkeitsbereich des Münchner Polizeipräsidiums sind die Unfallzahlen mit Personenschaden zwar rückläufig, allerdings steigt die Zahl der im Straßenverkehr Getöteten. 2017 gab es in dieser Kategorie 6054 Unfälle, dabei kamen 27 Menschen auf den Straßen in und um München ums Leben - im Jahr zuvor waren es 19. Ebenfalls nahm die Zahl der unter Alkohol- und Drogeneinfluss stehenden Unfallbeteiligten im Vergleich zu 2016 deutlich zu: Die Zahl der Zusammenstöße, bei denen ein Fahrzeugführer unter dem Einfluss illegaler Rauschmittel stand, stieg um 53,7 Prozent.

Es muss also etwas dagegen unternommen werden, daran besteht für das Kreisverwaltungsreferat, zu dessen Aufgaben die Verkehrssicherheit zählt, kein Zweifel. Erst im April hat der Stadtrat die "Vision Zero" beschlossen - die Zielmarke, die Zahl der Unfalltoten möglichst auf Null zu bringen. Was das Statistische Bundesamt schon vorweisen kann, muss für die städtischen Behörden erst noch erarbeitet werden: eine digitale Karte, aus der sich die Unfallschwerpunkte ablesen lassen.

Sie ist Teil des Verkehrssicherheitskonzepts, das im November im Stadtrat beschlossen werden soll. Derzeit können die städtischen Behörden noch nicht auf das Unfalldatenerfassungssystem der Polizei zugreifen. Diese Statistik aber ist für ein Urteil über die Situation unerlässlich. Unfälle werden nicht von Kommunalbehörden, sondern von der Polizei aufgenommen.

Mit der digitalen Karte sollen effiziente Verbesserungsmöglichkeiten gefunden werden - vorbeugend lässt sich viel machen: Ein Tempolimit kann eingeführt werden. Gefahrenstellen können verstärkt überwacht und Fahrspuren ummarkiert werden. Am Mittleren Ring etwa wird immer wieder mal gebaut, um die Verkehrssicherheit zu verbessern. Ein schon länger vertrautes Beispiel ist die Hochbrücke am "Olympiaknoten", über die Autofahrer einst zweispurig vom Georg-Brauchle-Ring Richtung Landshuter Allee abbiegen konnten. Dort wird kurz vor der Einmündung der Verkehr auf nur noch einer Spur zusammengeführt - es hat einfach zu oft gekracht beim Einfädeln auf die Geradeaus-Spuren.

Das Verkehrsmanagement des Kreisverwaltungsreferat schaltet sich immer ein, wenn eine Stelle offiziell zum Fall für die Unfallkommission wird. Das passiert, wenn sich mindestens drei ähnliche Unfälle innerhalb eines Jahres ereignet haben oder aber ein Mensch ums Leben gekommen ist. Dann wird untersucht, ob vielleicht ein Straßenumbau, eine geänderte Ampelschaltung oder eine neue Beschilderung weiterhelfen können.

Typische Gefahrenquellen im Straßenverkehr: Baustellen und Rechtsabbiegen

Klassische Risikofaktoren im täglichen Verkehrschaos sind Baustellen, die oft nicht nur Staus, sondern auch Unfälle zur Folge haben. Die Beschilderung und Organisation dieser stets unwillkommenen Eingriffe in den Straßenverkehr werden daher vom Kreisverwaltungsreferat akribisch ausgetüftelt. Mit Augenmerk auf sämtliche Verkehrsteilnehmer, also auch auf Fußgänger, Radfahrer und die Fahrgäste des MVV. Tunnel bringen übrigens nicht automatisch mehr Verkehrssicherheit - auch wenn es in ihnen bekanntlich weder regnet noch schneit. Laut Behörde kracht es in Tunneln aber öfter im fließenden Verkehr beim Spurwechsel. An Freiluftkreuzungen hingegen kommt es in der Regel zu den berüchtigten Abbiegeunfällen.

Der Zusammenstoß beim Rechtsabbiegen trifft sehr oft Radfahrer, er zählt wegen des toten Winkels zu den meistgefürchteten Situationen im Stadtverkehr. Moderne Autos werden mit ihren kleinen Fensterflächen immer unübersichtlicher. Mit ihrem Sicherheitskonzept will sich die Stadt auch dieses Problems annehmen, etwa durchs Anbringen spezieller Spiegel, die von rechts hinten im toten Winkel herannahende Radler für Auto- und Lkw-Fahrer sichtbar machen. Eine Untersuchung dieser Methode und eine Standortsuche für geeignete Kreuzungen zählt zu den typischen Maßnahmen des Verkehrssicherheitskonzepts.

Manchmal geht es bei der Organisation des Verkehrs auch etwas unkonventioneller zu. Voraussichtlich 2019 beginnt die Stadt mit dem Pilotversuch Grüner Pfeil für Radfahrer - also legales Rechtsabbiegen trotz roter Ampel. München wird damit Testfeld für einen Versuch der Bundesanstalt für Straßenwesen, an dem auch Hamburg, Leipzig und Köln teilnehmen.

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Quelle:
SZ vom 05.11.2018
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