Süddeutsche Zeitung

Ukrainische Journalistin:"Ich möchte mein Land den Deutschen näherbringen"

Lesezeit: 4 min

Seit vier Monaten lebt die ukrainische Journalistin Emiliia Dieniezhna in Pullach bei München. Für die SZ wird sie in einer wöchentlichen Kolumne darüber schreiben, wie sie den Krieg in ihrer Heimat von hier aus erlebt.

Von Karin Kampwerth

"Darf ich eigentlich lachen, wenigstens lächeln?" Diese Frage stellt sich Emiliia Dieniezhna jeden Tag aufs Neue. Wenn sie ihre vierjährige Tochter Ewa auf dem Fahrrad jauchzen sieht. Wenn sie den sprießenden Salat im Garten betrachtet. Oder wenn sie an einem schönen Sommertag von der Terrasse eines Pullacher Wirtshauses auf die Isar runterblickt. Da könnte man das Leben schon genießen. Wenn sie aber dann am Abend mit ihrem Mann in Kiew telefoniert, der im Dunklen sitzt, weil man in der ukrainischen Hauptstadt längst nicht in Sicherheit ist, vergeht jeder Anflug von Heiterkeit. Dort schlagen russische Raketen ein. Wer Licht anmacht, bietet ein Ziel.

Seit vier Monaten lebt Emiliia Dieniezhna mit ihrer kleinen Tochter, ihrer Mutter und ihrer Tante in Pullach. 50 Stunden lang waren die Frauen mit dem Kind von Kiew unterwegs. Bloß raus aus der Ukraine. Die Stadt wurde zu Beginn des russischen Angriffskrieges täglich bombardiert. Während die meisten Flüchtenden gar nicht wussten, wohin es sie verschlagen wird, war für Dieniezhna klar, dass es nach München gehen soll.

Vor eineinhalb Jahren hat sie schon einmal mehrere Monate in der bayerischen Landeshauptstadt verbracht. Ihr Mann war an einem Gehirntumor erkrankt. Über eine Bekannte, mit der sie in Brüssel studierte, erfuhr Dieniezhna, dass der 43-Jährige mit einer Operation im Klinikum rechts der Isar die besten Chancen auf Genesung habe. Diese Uni-Freundin half auch jetzt weiter und stellte den Kontakt zu einer Familie her, die in der Schweiz lebt, aber in Pullach ein Reihenhäuschen besitzt und dieses Dieniezhna zur Verfügung stellte.

Dass ihrer Familie Orientierungslosigkeit und Sammelunterkunft erspart blieben, dafür empfindet die 34-Jährige große Dankbarkeit. So viele Menschen hat sie seit ihrer Ankunft in München und Pullach erlebt, die ihr mit großer Hilfsbereitschaft begegnet sind. Da war eine Frau, die ihr eine Gemüsekiste vor die Haustür stellte. Oder eine andere, die ihr einen Fahrradanhänger kostenlos überließ. Und der Mann, der sie am Wochenende nach Ebersberg zu einem Treffen mit einer Freundin fuhr, weil sich Emiliia Dieniezhna anfangs nicht zutraute, den Weg mit der S-Bahn samt Umsteigen von Pullach ans andere Ende von München zu schaffen. Oder jetzt ihr Nachbar Roland, der ihr viel übers Gärtnern beibrachte und deshalb der Salat hinterm Reihenhaus wächst. Das sind Gründe, für die sie sich ein Lächeln erlaubt. Aber das Leben genießen? "Das ist für mich keine Lösung", sagt die 34-Jährige. Zu traurig machen sie die Nachrichten aus der Heimat. "Ich kann den Krieg nicht ignorieren."

Dass sie all die Gräuel in ihrem Land intensiv verfolgt, führt sie auf ihren Beruf zurück. Emiliia Dieniezhna ist Journalistin. Sie hat in der Ukraine für verschiedene TV-Sender gearbeitet und vor vielen Jahren auch einmal ein Praktikum bei der Deutschen Welle in Bonn absolviert. Sie spricht sehr gut Deutsch, ist ausgebildete Übersetzerin und Sprachlehrerin, neben Deutsch auch für Russisch und Englisch. Bis zu ihrer Flucht war sie als Kommunikationsmanagerin für die Antikorruptions-Organisation Transparency International Ukraine tätig. Während sie von vielen geflüchteten Landsleuten hört, dass sie so wenig Nachrichten wie möglich lesen, um nicht zu verzweifeln, drehen sich Dieniezhnas Gedanken darum, wie sie ihr Land von Deutschland aus unterstützen kann.

Eine Antwort darauf hat sie bereits gefunden. Nachdem sie zunächst im Ankerzentrum in München für Geflüchtete übersetzte, unterrichtet die 34-Jährige inzwischen im Pullacher Gymnasium ukrainische Kinder und Jugendliche in der Willkommensklasse in Deutsch. "Das hilft nicht den Krieg zu stoppen", sagt Dieniezhna, "aber es hilft unseren Kindern hier."

Für die SZ wird sie darüber schreiben, wie sich der Krieg in der Ukraine von Pullach aus anfühlt

Eine zweite Antwort wird sie von kommender Woche an mit einer regelmäßigen Kolumne in der Süddeutschen Zeitung geben. "Ich möchte mein Land den Deutschen näherbringen", erklärt sie. Denn was sie in den Gesprächen feststelle, sei die Erkenntnis, "dass der Krieg für ukrainische Geflüchtete sehr nah bleibt, für die Deutschen aber weit weg ist". Darin sieht Dieniezhna auch einen Grund für unterschiedliche Auffassungen etwa über eine zögerliche Bundesregierung bei der Frage um die Lieferung schwerer Waffen oder die Wirksamkeit von Sanktionen gegen Russland.

Dieniezhna will mit ihren Texten auch Missverständnissen vorbeugen. "Natürlich verstehe ich die Sorge der Deutschen um steigende Energiepreise", sagt sie. Aber die russische Propaganda dürfe nicht greifen und der Ukraine die Schuld dafür zuschieben. "Verantwortlich dafür ist alleine Russland." Sie will aber auch Debatten anregen. Zum Beispiel darüber, ob es in München, in Bayern, in Deutschland wirklich Sicherheit gibt. "Wer weiß, wen dieser Mann noch attackieren wird", sagt Dieniezhna über Wladimir Putin.

Ihre Arbeit als Journalistin, ihr Engagement als Deutschlehrerin und ihr Einsatz als Übersetzerin sieht die 34-Jährige nicht nur praktisch, sondern philosophisch. "Das ist meine Investition in den Frieden. Wie wir jetzt handeln, beeinflusst, wie wir mit unseren Kindern umgehen." Das sei die Verantwortung, der man sich sein Leben lang stellen müsse.

Dass das ein sehr deutsches Thema ist, hat Dieniezhna als junge Frau kennengelernt. 19 Jahre war sie alt, als sie zu einem Studierendenaustausch Kiel besuchte. Dort hat sie viele Museen besucht, sich mit deutscher Geschichte beschäftigt und das erste Mal das Wort "Schuldgefühl" gehört. Damals habe sie wenig damit anfangen können. Jetzt weiß sie: "Wenn ich nichts mache, werde ich mich später fragen müssen, wie ich mich damit fühle."

Viele Menschen, die sie in München und Pullach inzwischen kennengelernt hat, werden das einmal positiv beantworten können, davon ist Emiliia Dieniezhna überzeugt. Das gelte für jene, die humanitäre Hilfe für ihr Land leisteten genauso wie für die Unterstützung der Geflüchteten hier, so unterschiedlich diese auch sei. Ihr Nachbar Roland zum Beispiel hat ihr nicht nur die deutsche Bürokratie erklärt, sondern auch beigebracht, wie man Gemüse pflanzt, Unkraut zupft und Rasen mäht. Der Garten des Pullacher Reihenhauses sieht nun tiptop aus. Emiliia Dieniezhna ist stolz darauf, nur hat sie nun von der ungewohnten Arbeit eine große Blase an der Hand. Darüber muss sie dann doch lachen.

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