Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Wir sind schwanger

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Für unseren Autor fühlt es sich so an, als trüge er selbst das Baby im Bauch.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Bald nach meiner Ankunft hatte ich einen jungen deutschen Freund. Wir gingen schwimmen, spielten Tischtennis, schauten uns Fußballspiele des FC Bayern an und besuchten Wirtshäuser. So ging das mehrere Jahre, jedes Mal war es eine Freude. Aber plötzlich fing er an, sich zu entschuldigen, dass er keine Zeit mehr habe. Wir telefonierten nur noch. Seine Frau war schwanger geworden.

In Syrien ist es für einen Ehemann eine Schande, nur über seine schwangere Frau zu sprechen. Um eine Schwangere kümmern sich ihre Mutter, die Mutter ihres Mannes, die Tante ihres Mannes, die Tante der Frau oder die Tochter ihrer Tante. Die Männer gehen indes zur Arbeit, in ein Café oder spielen Bowling. So ist das, ob der Mann es so will oder nicht. Eventuell fühlen sich einige werdende Väter in Syrien ausgegrenzt.

Als meine Frau schwanger wurde, begann ich, mich an die Worte meines Freundes Max zu erinnern: Wächst in Mamas Bauch ein kleines Wunder heran, dann sei er beim Wachsen dabei. Gehe nicht zum Bayern-Spiel, sondern fahre mit der Hand über den Bauch.

Zu Beginn äußerten sich bei meiner Frau die typischen Beschwerden wie Übelkeit und Müdigkeit, Erbrechen und Heißhunger. Wenn wir in den Supermarkt gehen, füllt sich der Einkaufskorb wie von selbst. Es führt dazu, dass nicht nur der Babybauch formschön rund daherkommt, sondern inzwischen auch ich. Bin ich etwa teilschwanger?

Je mehr sich der Bauch meiner Frau entwickelt, desto mehr verspüre ich das Bedürfnis, ihr Dinge abzunehmen. Ich surfe im Internet, um ein Babybett zu kaufen und suche nach Angeboten für einen Kinderwagen, ein Wickeltisch muss natürlich auch her. In Syrien wird einem Mann nicht empfohlen, mit seiner Frau in eine gynäkologische Klinik zu gehen. Hier aber begleite ich sie zum Frauenarzt und lasse mich von einer Hebamme beraten, die viele Tipps für die letzten Wochen vor der Geburt hat.

Wir sind nun im siebten Monat. Wir. Irgendwie fühlt es sich so an. Manchmal denke ich darüber nach, wie unser kleines Neugeborenes aussehen wird. Wie wird es lernen und wachsen?

Während ich mir so viel Schönes im Kopf ausmale, drängt sich die hässliche Fratze der Vergangenheit in meine Gedanken. Einst brachte mich der syrische Gefängniswärter in einen Nebenraum des Kerkers, wo eine Frau mit einem Kind lag. Der Papa war Oppositionspolitiker gegen das Regime gewesen - und weil er nach Jordanien geflohen war, hatten sie Frau und Kind eingesperrt. Die Polizei hatte die damals schwangere Frau als Geisel genommen und gefoltert. Ihr Baby hatte sie in der Zelle zur Welt gebracht, inzwischen war es ein fünf Jahre altes Mädchen - und immer noch im Gefängnis.

In wenigen Wochen soll nun unser Kind zur Welt kommen. Ich rede mit ihm, während es im Bauch ihrer Mutter aufs Tageslicht wartet. Ich erkläre dann, dass ich ich gerade neue Sachen kaufe und eine größere Wohnung für uns suche. Dass es vielleicht sein eigenes Zimmer haben wird, vielleicht aber auch nicht. Gut wird es unserem Kind trotzdem gehen, da es weder zwischen Erdbebentrümmern aufwachsen wird noch in einer Gefängniszelle.

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