Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Mama, ich will fliegen

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In Uganda war es für unsere Autorin ein Privileg und Anlass für ein Familienfest, in ein Flugzeug zu steigen. In München beobachtet sie eine sommerliche Flugwut. Unter anderem bei ihrer Tochter.

Kolumne von Lillian Ikulumet, München

Die großen Ferien stehen an. Und jedes Mal, wenn meine kleine Taliah ein Flugzeug vorbeifliegen sieht, teilt sie mir mit: Mama, es ist Ferienzeit, ich will auch fliegen. So wie die anderen Münchner Kinder im Kindergarten. Es ist, als gehöre der sommerliche Abflug dazu wie das Glockenspiel zum Rathaus.

In meiner früheren Heimat Uganda galt Fliegen als etwas für wenige Auserwählte. In einem Dorf hatte vielleicht nur eine Person das Glück, einmal im Leben in einem Flugzeug zu sitzen. Irgendwann dann gehörte ich selbst dazu. Fast 16 Jahre ist es her, ich war damals 25. Eine Dienstreise nach London.

Meinen ersten Flug werde ich nie vergessen. Dieser Moment, in dem die Flugbegleiter einen an Bord begrüßen. Die Nervosität vor dem Abheben - und die Schmetterlinge im Bauch, wenn die Maschine den Bodenkontakt verliert und sich alles verschiebt. Ich werde mich immer an meine Sitzplatznummer erinnern, an die erste Sicherheitsdemonstration.

Ich war nach meiner Großmutter die zweite in der Familie, die flog. Das ganze Dorf wusste Bescheid. Ich erinnere mich, dass ich meine Koffer einen Monat vorher packte und den Inhalt regelmäßig optimierte. Meine Großmutter bereitete mir die Reisesnacks zu: geröstete Nüsse, getrocknetes Rindfleisch, geschnittene Süßkartoffeln.

Wie es sich anfühle im Flugzeug? Beängstigend und aufregend zugleich, meinte Oma. Wenn sogenannte Turbulenzen aufträten, dann wünsche man sich die ugandischen Schlaglöcher zurück. Jeden Abend saßen wir im Freien, beobachteten Flugzeuge, und ich stellte mir vor, wie es wohl sein wird da oben.

Zur Abschiedsparty kam das ganze Dorf. Am Tag des Abflugs begleitete mich fast meine gesamte Verwandtschaft zum Flughafen. Wir küssten und umarmten uns. Beteten, dass alles gut gehen werde. Dann ging ich zum Gate.

In München nehme ich es so wahr, dass Flugreisen für die Stadtbewohner Normalität sind. Es besteht im Sommer eine regelrechte Flugwut. Dabei wäre es hier schön genug, um einfach zu bleiben. In den Isarauen, oder im Englischen Garten. Zumal Fliegen ja nicht nur aus klimatischer Sicht Nachteile hat.

Kurz vor meinem ersten Flug begannen meine Beine zu zittern. Ich dachte, ich müsse mich übergeben. Als die Motoren starteten, schloss ich meine Augen und atmete langsam, um nicht zu hyperventilieren. Stunden später war ich wieder ich selbst. Gut gelandet in London. Einige Wochen später ging es zurück. Der gesamte Clan empfing mich wieder mit Geschrei am Flughafen, als wäre ich von einer Marsreise zurück.

Für Taliah scheint es keine große Sache zu sein. Beim letzten Mal ist sie wie selbstverständlich mit ihrem winzigen Rucksack in den Flieger gestiegen. Während ich die Augen schloss und betete, schaltete sie die Bildschirme ein, setzte Kopfhörer auf und begann, Trickfilme anzusehen. Sie ist eben ein Münchner Kindl.

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