Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Mehr Frauenkleider für unsere Männer

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Es muss noch einiges an Wasser die Isar runterlaufen, bis man als Mann im Sommerkleid ins Büro spaziert. Frauen haben es umgekehrt deutlich besser.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Ich bin in einem konservativen Zuhause aufgewachsen, in dem Mädchen Bescheidenheit in Verhalten und Kleidung anerzogen wurde. Meine Mutter achtete penibel darauf, dass ihre Töchter niemals Hosen trugen. Dieses Kleidungsstück war in meiner Kindheit und Jugend tabu. Bis heute ist das Tragen einer Hose bei unseren Familienfeiern ein No-Go für alle Mädchen und Frauen. Manchmal habe ich am Telefon Streit mit meiner Oma darüber. Ich sage ihr, dass sich der Trend geändert hat. Sie sagt dann, ich möge das bitte für mich behalten.

Wenn ich in Münchens Straßen spazieren gehe und sehe, wie elegant ältere Frauen hier in Hosen gekleidet sind, stelle ich mir vor, wie gut das meiner Oma stehen würde. Ich brauchte selbst eine Weile, ehe ich die Dinge so sah. Schließlich kann man die Vergangenheit nicht wegwischen wie eine Bügelfalte. Ich erinnere mich gut an die Unizeit, als meine Kommilitoninnen, die sich für das Tragen von Hosen entschieden hatten, verspottet wurden. Das ging von männlichen Studenten aus, besonders aggressiv wurden manche, wenn man enge Röhrenjeans trug. Im Laufe meines Journalismusstudiums änderte sich dies. Jeans waren bei Frauen nun anerkannt. Auch weil Frauen dadurch - verglichen mit einem Rock - besser vor Vergewaltigungen geschützt sind, was seinerzeit weit verbreitet war.

In München bemerkte ich, wie sehr mich dieses Ränkespiel um Frauenhosen geprägt hat. Es war wie der Eintritt in eine Parallelwelt. Es irritierte mich anfangs fast, dass so gut wie alle Frauen Hosen trugen. Kleider und Röcke sind hier eher die Ausnahme - wenngleich die Quote im Sommer wieder steigen wird.

Es ist vielleicht noch nicht wie in München, wo Jeans im Haus, auf dem Hof und gar in der Kirche getragen werden. Aber auch in Afrika akzeptieren mittlerweile die meisten Kulturen Frauen, die Hosen anhaben. Mein persönliches Dilemma wird mir dennoch erhalten bleiben. Ich frage mich, wie ich meiner Tochter später einmal beibringen soll, sich bei Verwandtenbesuchen so zu kleiden, wie es meine Familie für richtig hält.

Vielleicht überzeugt die Familie ja die Tatsache, dass meine Tochter in einer Gesellschaft von Hosen-Trägerinnen aufwächst. Vielleicht kann ich wiederum meiner Tochter die Schönheit des weiten bunten Gewands vermitteln. Ich selbst trage in München nicht automatisch eine Hose, sondern weiterhin gerne Röcke und Kleider. Sie lassen mich eleganter aussehen, besonders wenn ich zur Arbeit gehe. Hier haben wir Münchnerinnen einen Vorteil gegenüber männlichen Kollegen: Wir können zwar schwarze Hosen tragen. Es muss aber noch einiges an Wasser die Isar runterlaufen, bis man als Mann im Sommerkleid ins Büro spaziert.

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Quelle:
SZ vom 01.04.2021
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