Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Die grüne Krautzone

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In seiner Heimat ging unser Autor heimlich in die Hügel, um Kräuter zu sammeln. Im Münchner Umland entdeckte er eine ungeahndete Freiheit - und eine neue Gefahr.

Von Mohamad Alkhalaf

Es war nicht das erste Mal, dass meine Nachbarin mit einer Tasche aus dem Wald zurück kam. Sie legte die Kräuter fein säuberlich auf den Gartentisch und sortierte den Tascheninhalt. In Syrien gibt es Frauen, die Brennnesseln sammeln, diese vorsichtig anzünden und damit die Wohnung ausräuchern. Doch bei meiner Nachbarin brannte - wenn überhaupt - nur der Ofen.

Man muss ein Kraut gut kennen, bevor man ihm über den Weg traut. Genauer gesagt muss man es mindestens einmal ausprobiert haben. Als ich noch in Syrien war, sammelte ich Pflanzen wie Kamille, wilden Thymian und Löwenzahnblätter - ein gutes Medikament gegen Grippe. Ein Freund machte sich lustig, als ich im Frühling mit meinem Korb loszog. Im Winter kam er dann mit triefender Nase und bat mich um die Medizin.

Mittlerweile wohne ich seit vielen Jahren direkt am Rande des Ebersberger Forsts - wie mir zugetragen wurde, ein guter Kräuterwald. Da ich mich anfangs vor den Wildschweinen fürchtete, bat ich meine Nachbarin stets, mich zu begleiten. Ich war mir in mehrfacher Hinsicht unsicher, weil ich nur die wenigsten Gewächse zuordnen konnte. Irgendwas hielt mich davon ab, sie zu pflücken. Als würde hinter dem nächsten Gebüsch eine Horde Wildschweine warten, die sich bei mir rächen, wenn ich mich auf ihrem Gebiet bediene.

Gegen das eigene Kopfkino ist manchmal kein Kraut gewachsen. Nur gut, dass ich immer meine Begleiterin dabei hatte - ein wandelndes Bestimmungsbuch. Huflattich gegen Husten, Schöllkraut gegen Warzen, Melisse gegen Migräne. Welch glückliche Fügung, dass ich so nah am Wald wohne: Wenn mir mittags danach ist, gehe ich einmal über die Straße und hole Pfefferminze für den Tee und Bärlauch für den Salat.

In Syrien ließ die Regierung schon mal Flugzeuge über die Wälder fliegen und Insektizide streuen. Ziel war, das Wachstum der Bäume zu fördern, Ergebnis war aber vor allem, dass die Kräuter und Gräser auf dem Waldboden zerstört wurden. Es kam noch schlimmer: In den Kriegszeiten zerstörte das Assad-Regime feindliche Krankenhäuser und Apotheken, um die Menschen von der Versorgung der Regierung abhängig zu machen. In diesen Tagen herrschte große Angst: Ich besann mich aber meiner Erfahrungen und ging mit meinen Freunden nachts heimlich in die Hügel, um Kräuter zu sammeln.

Wir schlichen, um nicht erkannt zu werden. Hier in Bayern gehe ich mittlerweile weitestgehend furchtlos zum Kräutersammeln in den Wald. Nicht zuletzt, weil Hündin Rosi mit dabei ist. Manchmal nervt sie mich, weil sie die Tasche klaut, in die ich die Kräuter legen wollte. Dann vertragen wir uns wieder und gehen nach Hause. Für mich gibt es dann frischen Waldkräuter-Tee, und Rosi bekommt ein Stück Fleisch (nein, kein Wildschwein aus dem Wald).

Hier in Deutschland gibt es aus meiner Wahrnehmung fast schon unzählig viele Apotheken. Aber das Beste daran ist, dass ich sie gar nicht immer brauche, wenn ich krank bin: Ich gehe einfach hinaus in den Forst. Der Wald ist die beste Apotheke.

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Quelle:
SZ vom 23.04.2021
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