Süddeutsche Zeitung

Tragödie:Hört! Mich! An!

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Hans Neuenfels inszeniert die Geschichte der Gesetzesbrecherin "Antigone" im Residenztheater.

Von Christiane Lutz

Ein verfemter Bruder, der nicht begraben werden darf, weil König Kreon das so will. Eine wütende Schwester, die sich und ihrem Bruder das Recht aber nicht nehmen lassen will und ihn dennoch würdig bestattet. Sie landet dafür im Gefängnis. Es gibt eine Tote, zwei Tote, drei Tote. Eine aus den Fugen geratene Ordnung. Das sind die Eckpfeiler von Sophokles' "Antigone", dem antiken Drama, das Hans Neuenfels nun am Residenztheater inszeniert.

Der Regisseur, der neben Theater vor allem auch Opern macht, wurde gerade mit dem Theaterpreis "Faust" für sein Lebenswerk geehrt. Mit 75 könnte er es sich längt im Ruhestand gemütlich machen, stattdessen zieht er es aber vor, in dunklen Proberäumen der Frage nachzugehen: Was treibt diese Antigone eigentlich an? Ist ihre Gesetzesmissachtung als politische Provokation zu deuten? Als rein feministischen Akt gegen die Herrschaft des Mannes? Eine Handlung aus bloßer Liebe zum Bruder?

Eine einzige Antwort darauf gibt es - natürlich - nicht, darüber diskutieren Literatur- und Theaterwissenschaft schon, so lang es sie gibt. Und wahrscheinlich wird auch Neuenfels sich nicht auf eine festlegen. Die Ambivalenz der Antigone darf stehen bleiben. Die Wahl seiner Hauptdarstellerin allerdings ist ein klares Statement: Valery Tscheplanowa, eine der flirrendsten und gleichzeitig ausdrucksstärksten Schauspielerinnen des Hauses, übernimmt die Rolle der Antigone.

Ihren Widersacher Kreon spielt Norman Hacker, ebenfalls kein theatrales Leichtgewicht. Gut vorstellbar, welche Intensität Neuenfels da ansteuert. Die Bühne hingegen wird schlicht sein, eine verwaschene Wand, davor ein paar Kisten.

Es ist übrigens Neuenfels' allererste "Antigone"-Inszenierung, was angesichts seiner langen Karriere und seinem Faible für griechische Klassiker recht überraschend ist. Außerdem ist es seine erste Arbeit am Residenztheater seit 16 Jahren. Er hat den Text in der Übersetzung von Ernst Buschor selbst bearbeitet, ein paar Szenen dazu geschrieben und die Rolle des Chores in Schauspielerin Elisabeth Trissenaar zusammengeführt, die auch seine Partnerin ist.

"Macht braucht Zeugen", so lautet das Spielzeitmotto des Residenztheaters. Da eignet sich natürlich "Antigone", die bestehende Machtstrukturen nicht anerkennen will und die Frage stellt, unter welchen Umständen Gesetze eigentlich ihre Gültigkeit beanspruchen können, sehr gut als letzte Residenztheater-Premiere in diesem Jahr.

Antigone, Samstag, 10. Dezember, 19.30 Uhr, Residenztheater, Max-Joseph-Platz 1, 089 / 21 85 19 40

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Quelle:
SZ vom 08.12.16
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