Süddeutsche Zeitung

Peymann und Bernhard:Unverrückbar großartig - der stumpfen Banalität enthoben

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Claus Peymann liest Thomas Bernhards "Meine Preise" im Münchner Residenztheater. Der Regisseur hegt eine wahre Verehrung für den "Meister" - aber einmal widerspricht er.

Von Christian Jooß-Bernau

Hmm ... Was wollte ich sonst sagen ...? Alles fällt ihm nicht mehr ein, aber doch genug. Claus Peymann ist ein bisschen spät auf der Bühne im Residenztheater, weil man bis zum Schluss eingeleuchtet habe, und übernimmt die Formalien dann auch gleich selbst. Handys dürfen bei ihm an bleiben. Wer will, darf telefonieren. Oder aufstehen. Oder gehen: "Ich hänge ja nicht von Ihnen ab. Ich bin auf Rente."

Ein Schauspieler sei er nicht. Auch wenn - und nach der Pause fällt ihm auch der Name wieder ein - Edith Clever, die Große, nach einer Lesung zu ihm gesagt habe: "Claus, du bist ja ein toller Schauspieler." Unverkrampfte Kaufempfehlungen für sein neues Buch und die CD, auf der er Thomas Bernhards "Meine Preise" liest, gibt es auch. Und dann geht es schon los mit der Bernhard-Lesung.

Der Regisseur Claus Peymann und der Dichter Thomas Bernhard, das ist kanonisierte Theatergeschichte. Da ist alles drin: Poesie, Freundschaft und das Wüten gegen alte Nazis und gegen katholischen Mief und gegen ehrenwerte Bürger, die sich an nichts mehr erinnern wollen. Grobe vier Jahrzehnte ist das her. Und blickt man ins Publikum, sieht man viele, die das miterlebt haben könnten. Peymann ist heute 85. Letztens lobte ihn eine Dame nach einem Auftritt: "Die wackligen Schritte, der tragische Blick. Es ist wunderbar, wie Sie das Alter gespielt haben."

Bis auf den Gang zum Textstapel, von dem sich Peymann nach jedem Kapitel neu bedient, darf er an diesem Abend sicher sitzen. Bernhards "Meine Preise" ist aus dem Nachlass. Neun Kapitel, in denen Bernhard das eigene Dichterleben zu Literatur macht, über Preisverleihungen erzählt, was meist nicht gut ausgeht für die, die ihm die Preise verleihen, - und vor allem schweift Bernhard ab. Auf eine hochkonzentrierte Art, die im Nebensächlichen das Eigentliche enthüllt: den Kauf eines Autos, den Kauf seines trutzigen Anwesens in Obernathal. Während sich die Preisverleiher für kleines Geld mit kultureller Bedeutsamkeit aufladen, bis sie vibrieren, wartet der Dichter nur auf die Überreichung des Schecks und lässt die Gemeinheiten über sich ergehen. An diesem System hat sich bis heute nichts geändert.

Claus Peymann tanzt den Text im Sitzen. Neben ihm auf einem Höckerchen ein Foto von Bernhards Tante, seinem Lebensmenschen, dem er an passenden Textstellen zunickt. Witz kündigt sich von Weitem mit ironisch verschwörerischem Ton an. Das Grollen Bernhards wird hier zum geifernden Wutausbruch. Jede gelesene Manuskriptseite wirft Peymann wie eine Flamencotänzerin ihre Röcke. Die Begeisterung, mit der sich der Regisseur in die Sprache seines Freundes wirft, ist anrührend. Peymann spielt seinen Bernhard. Wer die Subtilität der Texte hinter der Schminke erleben will, muss sie selber lesen. Nach der Pause hängt das Bernhard-Foto hinter ihm verkehrt herum. Zwei Bühnenarbeiter werden herbeizitiert und müssen für Ordnung sorgen. Ohne Theater geht's halt nicht.

"Ich hoffe, Sie können noch. Ich bin an der Grenze", sagt Peymann nach dem siebten Preis: Neun Kapitel liest er, mit Kürzungen, die beispielsweise auch eine Stelle tilgen, in der Bernhard auf das Hässlichste einem Selbstmörder hinterherruft, mit dem er sich im Zwist entzweit hatte. Wenn Bernhard Menschen zwangsweise seiner Literatur einverleibte, konnte auch er recht niedrig und gemein werden und auf dem Leben anderer herumtrampeln.

Peymann, keine Frage, findet sich selber sehr gut, eine wahre Verehrung aber hegt er für Bernhard, den "Meister". Nur einmal, als Bernhard über die läppische Revolution der 68er wutschnaubt, da muss er eingreifen: "Ich bin völlig anderer Meinung." Peymann und Bernhard, das ist eine Kunst, die es heute so nicht mehr gibt. Ihre Dramatik und ihren Witz zieht sie aus dem unverrückbaren Bewusstsein der eigenen Großartigkeit, die der stumpfen Banalität der anderen enthoben ist. Da kommen sich Beschimpfer und Beschimpfte durchaus nahe. Am 3. Mai soll es eine Wiederholung des Abends geben, sagt Peymann nach der Pause. Das habe er eben mit "Direktor Beck" besprochen.

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