Süddeutsche Zeitung

Theater:Lob der Anarchie

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Das Theater Wasserburg zeigt "Die wahre Geschichte des Ah Q" von Christoph Hein in einer beherzten Bearbeitung.

Von Egbert Tholl, Wasserburg

Vermutlich ist Christoph Hein zum ersten Mal in Wasserburg. Er freut sich darüber. Denn auch wenn von seinem Stück "Die wahre Geschichte des Ah Q" gerade mal ein Viertel des von ihm geschriebenen Textes übrig blieb, so schafft das von Uwe Bertram angeführte Regieteam am Theater Wasserburg etwas ganz Neues, mit dem der Autor gut leben kann. Sehr gut sogar.

Nun ist es ohnehin völlig legitim, den Text umzukrempeln, legte ihn doch Hein selbst mit großer thematischer Offenheit an. Die beiden, nun ja, Landstreicher Ah Q und Wang Krätzebart hausen in einer Tempelruine, führen philosophische Gespräche, treffen auf verschiedene Menschen, etwa auf eine Nonne, der es im weiteren Verlauf nicht gut ergeht. Vor allem aber ist der Rahmen, den Ah Q und Wang bauen, die Ummantelung sehr vieler, lustig durcheinander geworfener Motive aus dem chinesischen und europäischen Kulturraum. Hein lehnte sein Stück an eine Novelle von Lu Xun an, es kam 1983 am Deutschen Theater Berlin heraus, wurde in den Achtzigerjahren praktisch überall gespielt, nur in München nicht, aber jetzt in Wasserburg.

Uwe Bertram behält den Rahmen, füllt ihn aber neu. Mit Märchen und Borcherts "Draußen vor der Tür", mit "Roberto Zucco" und vielen weiteren Motiven aus einem kanonischen Fundus, der alles behandelt, was die Absenz von Anarchie bedeutet und Konformität berührt. Denn um die Anarchie kreist der Abend, klingt dazu unabdingbar dringlich, weil Georg Karger, Wolfgang Roth und Anno Kesting live Musik machen. Unten eine Spielfläche, ein Quadrat auf dem die fünf "grauen Menschen" sorgsam darauf achten müssen, in der Balance zu bleiben. Nur nicht auffallen, sonst rutscht man runter. Oben im Gestänge der Technik Nik Mayr (Wang) und Hilmar Henjes (Ah Q), zwei beckettsche Philosophen, verloren und zornig, klug und resigniert, aufbegehrend ins Irgendwohin. Der Abend fordert, und das zu Recht. Denken ist doch noch in Mode.

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