Süddeutsche Zeitung

Geschäftsidee:Erst scannen, dann kaufen

Lesezeit: 5 min

Ein Münchner Start-up will Online-Kunden helfen, künftig die passende Kleidung im Internet zu finden. Dafür wird ihr Körper als Video aufgenommen und vermessen. Das soll auch gut für die Umwelt sein.

Von Sabine Buchwald

Was bedeutet 90 61 90? Eine Festnetznummer? Falsch. Die gibt es fast nur noch achtstellig. Eine Kontonummer? Kann nicht sein, denn die wäre in eine schlangenlange IBAN integriert. Die Antwort ist banaler: Es sind die Maße von Sophia Loren. Das war kein Geheimnis, als sie noch eine begehrte Schauspielerin war. Aber das geht weit zurück ins vergangene Jahrhundert. Damals unterhielten sich Männer noch über Taillenweiten von Frauen. Und Maße waren nicht relevant fürs Online-Shopping. Das gab es zu dieser Zeit noch nicht.

Heute spricht man im Zusammenhang mit virtueller Einkaufsfreude von Datenschutz und Päckchenflut. Für Leon Szeli sind das zwei Begriffe, die ihn privat wie beruflich seit Monaten aktiv halten. Wofür es sich lohnt, morgens aufzustehen, wie er es ausdrückt. Zwei Schlagwörter, die viel zu tun haben mit dem Start-up Presize, das er zusammen mit zwei Studienfreunden gegründet hat.

Szeli ist 25 Jahre alt. Wie viele Menschen seiner Generation war er schon länger nicht mehr in Kauflaune in den Geschäften der Münchner Fußgängerzone unterwegs. Warum auch, er und seine Freundin holen sich, was sie möchten, in der Regel am Computer sitzend. Nur kommt danach nicht immer genau das, was sie wirklich wollen. Deshalb stünden im Gang ihrer gemeinsamen Wohnung eigentlich immer ein, zwei Pakete, erzählt Szeli. Pakete, die zur Post gebracht werden müssen. Retouren also. Kleidung, die nicht gepasst hat. Oder auch Modelle, die sie in mehreren Größen gekauft haben, damit sie die richtige auswählen können. Wie in einem Laden.

Vor ein paar Jahren trauten sich das nur die ausgefuchsten Online-Shopper. Inzwischen gehört das zum typischen Kundenverhalten. Das ist teuer für die Firmen, weshalb einige schon auf diese Praxis reagieren und solche Doppel- und Dreifachbestellungen nicht mehr zulassen. 15 Euro falle bei jeder Retoure an, haben sie bei Presize ausgerechnet, inklusive Prozesskosten und Wertminderung der Ware. Dazu kämen 550 Gramm CO₂-Ausstoß.

Genau hier greift die Geschäftsidee von Presize. Sie will Online-Kunden helfen, künftig die passende Kleidung im Internet zu finden. Mit einem einfach wirkenden Verfahren soll man sich mit seinem Handy zu Hause vermessen und herausfinden, welche Hemden und Hosen dem Körper entsprechend wirklich sitzen.

Die junge Firma hat sich soeben im Münchner Businessplan-Wettbewerb durchgesetzt. 15 000 Euro fließen nun auf das Firmenkonto von Leon Szeli, Awais Shafique und Tomislav Tomov. Das ist nicht übermäßig viel, wenn man so stark werden will, dass einem die Geschäftsgrundlage, also die Idee, nicht weggeschnappt wird. "Bis Frühjahr 2020 können wir damit überleben", sagt Szeli zuversichtlich. Bis dahin wollen sie in genug Webshops integriert sein. Das Patent ist längst angemeldet.

Presize - aus dieser zweiteiligen Wortschöpfung kann man durchaus lesen, was die Firma beschäftigt: Größe, also englisch size, pre, vor-bestimmen und das möglichst "precisely", also genau. Das funktioniert mit IT-Technik und Algorithmen, weshalb Shafique aus Pakistan und Tomov, aufgewachsen in Bulgarien, lange Zahlenreihen auf ihren Computerbildschirmen vor sich haben.

Kennengelernt haben sich die drei am CDTM, dem Center for Digital Technology and Management, einem Forschungs- und Lehrinstitut der Technischen Universität (TU) München und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Dort studiert eine kleine Elite der beiden Unis unter sich. Die Gruppe ist so groß wie eine Schulklasse. Die Unterrichtssprache ist Englisch. Man muss sich bewerben, um in diesen Zirkel reinzurutschen.

Bei Szeli hat es erst nach dem vierten Mal geklappt. Er sei hartnäckig, sagt er. Eine Voraussetzung in der Marktwirtschaft. Da hatte er schon Kommunikationswissenschaften an der LMU studiert, war in Stanford und Cambridge gewesen. Wahrscheinlich hat der CDTM-Kommission seine Masterarbeit imponiert. In der hat sich Szeli mit dem Vertrauen der Nutzer in künstliche Intelligenz beschäftigt. Er kann das Ergebnis seiner Forschung in zwei Sätze packen: Menschen vertrauten eher, wenn sie ein Gesicht oder wenigstens einen Namen mit einer Person verbinden können. Wenn aber ein Roboter personalisiert werde, also ein Gesicht bekomme, sinke das Vertrauen der Menschen, die ihn nutzen, sagt Szeli.

Seine Untersuchungen und Überlegungen verbinden ihn mit Shafique, auf der Firmen-Webseite als "Product Wizard" beschrieben, und Tomov, der "Tech Ninja". Der Firmensitz ist an der Balanstraße 73. Das ist eine Art Sammeladresse für alle diese Bürohausriegel, in der viele Münchner Start-ups bezahlbare Arbeitsraum finden. Viele Großraumbüros mit halbhohen Wänden aus Baumarktholz gibt es hier. Die Lichtquellen sind große farbige Metalllampen. In abgetrennten Glaskuben trifft man sich zu wortreichen Konferenzen, ansonsten sieht man viele eher jüngere Leute ruhig am PC werkeln.

So auch die Mitarbeiter von Presize. Für die Fotos haben sie zusammen mit IT-Spezialist Jake Lydon, der kürzlich aus den USA dazugekommen ist, gerade noch Zeit. Ansonsten überlassen sie Szeli die Kommunikation nach außen. Der wollte mal Journalist werden, bevor ihm klar wurde, dass er lieber Unternehmer sein will. "Im Herzen aber sei er immer noch Sozialwissenschaftler", sagt er.

Nach dem Gewinn des Businessplan-Preises muss er nun oft erklären, was Presize ist. Nein, keine App, sondern ein komplett browserbasiertes Add-on, das vorerst über den jeweiligen Webshop zu finden sein wird. "Wir denken, dass die Zeiten vorbei sind, dass man sich die hundertste App auf sein Smartphone lädt." Auf die unvermeidliche Frage nach der Datensicherheit, antwortet er mit ernster Stimme, dass sie streng nach der europäischen Datenschutzverordnung arbeiteten. Die sei für Unternehmen "extrem herausfordernd". Die Nutzer würden nach ihrem Einverständnis gefragt, können entscheiden, ob ihre Informationen in Cookies wieder auftauchen.

Um die richtige Größe und Passform zu finden, wird der Körper des potenziellen Kunden als Video aufgenommen. Über QR-Code oder Link gelangt er auf einer Website. Dann das Smartphone auf den Boden an die Wand stellen und sich um die eigene Achse drehen. Man soll die Arme etwa so wie vor dem Scanner am Flughafen halten. Szeli garantiert, dass das Gesicht verpixelt würde. Ein Name tauche nicht auf. Die Person wird zum Code. Brust-, Taillen- und Hüftumfang verwahrt die Google-Cloud. Anders als bei Sophia Loren wird man die Maße von Timo Mustermann dann wohl Jahrzehnte später nicht ausfindig machen können. Interessiert vielleicht auch nicht.

Aber, es geht um Ware und um Geld. Die einen wollen kaufen, die anderen verkaufen, deshalb wird es Kaufempfehlungen geben. Presize sucht Investoren. Erst vor wenigen Tagen hat Chris Brenninkmeyer einen Vertrag mit dem Münchner Jungunternehmen als privater Investor geschlossen. Er ist nun Mitglied des Advisory Board und soll seine 30 Jahre Erfahrung aus der Modebranche und dem Einzelhandel einbringen. C & A, das sind die beiden Großbuchstaben, die man mit dem Namen Brenninkmeyer verbindet. Szeli ist sich sicher, dass dies ein Riesenschritt ist.

"Es ist wichtig, Geld von den richtigen Leuten zu bekommen", sagt er. Aber auch ihr Wissen. Das klingt ein wenig abgespult. Sie seien schnell, das ist die einzige Chance, die sie hätten. Wenn dich jemand kopieren kann in kurzer Zeit, dann ist es kein gutes Produkt, sagt er schließlich. Das klingt ein bisschen trotzig. Monatelang haben sie Nutzertests gemacht. Im Augenblick konzentrieren sie sich nur auf Männermode. Maßhemden zum Beispiel. Keine Schuhe bislang, das wäre ein großer Markt. Aber so weit sind sie noch nicht.

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Quelle:
SZ vom 07.08.2019
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