Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:24 Quadratmeter neue Heimat

Lesezeit: 3 min

Nataliia Berezhna ist zusammen mit ihrer Tochter aus der Ukraine nach Utting geflohen. Dort leben sie beengt in einem Souterrainzimmer. Dinge wie ein Raumtrenner würden ihnen den Alltag erleichtern.

Von Viktoria Spinrad, Utting

13 Stufen hinab sind es in die Souterrainwohnung von Nataliia Berezhna und ihrer Tochter Karina. Ein Sprung in der Türscheibe, die Rollos sind heruntergelassen. Die 38-Jährige hatte mal eine Eigentumswohnung in Saporischschja. Es ist die Stadt mit Europas größtem Atomwerk, das die Russen beständig beschießen, das aber immer noch Stand hält. Ihre Wohnung hingegen hat es erwischt, sie wurde zerbombt. "Alles kaputt", sagt Berezhna.

Ein grauer Montagnachmittag in Utting. Nur wenig Licht fällt durch die kleinen Deckenfenster in den Kellerraum. Ein Zimmer, 24 Quadratmeter. Zwei kleine Schreibtische, zwei kleine Betten. Auf dem einen sitzt Karina, eine 14-Jährige mit kurzen Haaren und amerikanischem Sweatshirt. Aus dem Heizungsraum nebenan brummt der Brenner. Damit es warm ist in der Wohnung, lässt Berezhna die Tür zum Heizungskeller offen.

Die 38-Jährige mit den langen schwarzen Haaren und dem schüchternen Blick und ihre Tochter sind zwei der offiziell knapp 2000 Menschen, die im Landkreis Starnberg Zuflucht vor dem Krieg in der Ukraine gefunden haben. Notunterkunft, Ferienwohnung, jetzt 24 Quadratmeter neue Heimat.

Die Miete kostet 100 Euro - mehr kann sie sich als Spülerin nicht leisten

Ein Glücksgriff, trotz allem: Das Zimmer mietet sie bei einer Landsfrau zum Freundschaftspreis von 100 Euro. Viel mehr ginge auch nicht. Berezhna arbeitet als Spülerin bei "Lenas am See", einem Restaurant gleich am Ufer. Dem deutschen Staat möchte sie nicht auf der Tasche liegen. Sie seien sehr dankbar, sagt Berezhna. Sie und ihre Tochter lernen Deutsch, haben Kontakte zum Helferkreis und zur Kirchengemeinde. Die Tochter spielt Volleyball. In Utting, sagt Berezhna, fühle sie sich willkommen.

Sie schaltet die Lichterkette an, die sich um den Raum schlängelt. Berezhna ist gelernte Stuckateurin, hat einen Blick für Ästhetik. Sie versucht, das beste aus der kleinen Wohnung zu machen. Wie auch aus ihrem neuen Leben. In der Ecke hat sie eine Kiste deponiert. Darin sind Ballons und Luftpumpen. Bereits in der Ukraine hat Berezhna als Ballonkünstlerin gearbeitet. Und auch hier hat sie schon manchen Kindern Freude mit ihrer Kunst gemacht. Wie sie das macht, sieht man auf ihrem Instagram-Account: Pferd, Baby, Blumenstrauß, allesamt aus Luftballons.

Tochter Karina tippt am Handy. "Ja", "gut", sie sagt nicht viel. Sie besucht die Willkommensklasse in Dießen, nachmittags macht sie die Hausaufgaben ihrer ukrainischen Schule in der Heimat. "Viele Tests", sagt die Mutter. 105 seien es, allesamt fällig bis zum 10. Dezember. Sie ist zögerlich, wenn es um Hilfe von außen geht. Doch wenn man fragt, wird klar: Ein Laptop würde es ihrer Tochter einfacher machen, den Anschluss nicht zu verlieren.

Kaffee? Berezhna macht ein paar Schritte, dann steht sie in der kleinen Küche. In der Ecke hinter der Tür sind Löcher in der Wand. Drunter steht die Heizung auf zwei, aber sie ist kalt, kaputt, scheinbar irreparabel. Ein mobiler Heizkörper, sagt Berezhna, würde sehr helfen. Mit den Armen macht sie eine Ausklappbewegung. Für die Ecke würde sie sich ein kleines Schlafsofa wünschen - damit Mutter und Tochter etwas mehr Privatsphäre haben. Zumal das Ende des Kriegs nicht absehbar ist.

Ansonsten sind die beiden immer in einem Raum. Wie lange geht das gut? Berezhna zögert. Dann öffnet sie ihr Handy, gibt etwas in die Suchmaschine ein. Doch das Internet reicht nicht bis in die Küche hinein. Also zurück in den Hauptraum. Jetzt erscheint etwas auf ihrem Handybildschirm: ein fest installierter Raumtrenner. Berezhna breitet die Arme aus. Aus eins mach zwei, halb Wohnzimmer, halb Schlafzimmer. So könnten die 24 Quadratmeter auch mittelfristig zu einem Zuhause für Mutter und Tochter werden. Eine größere Wohnung können sie sich nicht leisten. "Zu teuer", sagt sie.

Es brummt, der Brenner ist wieder angesprungen. Auf dem Küchentisch steht eine Kerze. Rot, verziert mit etwas Gesteck, umrahmt von Zimtstangen. Ein Mini-Adventskranz, wenn man so will. Noch hat Berezhna ihn nicht angezündet. Aber vielleicht ja demnächst. Noch zwei Wochen, dann soll das Christkind kommen.

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