Süddeutsche Zeitung

Integration von Flüchtlingen:Arbeiten statt warten

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Flüchtlingshelfer fordern in der Evangelischen Akademie Erleichterungen für Asylbewerber und überlegen, wieder politischer zu werden.

Von Patrizia Steipe, Tutzing

Es ist das jahrelange Warten ohne Perspektive, das den Geflüchteten am meisten zusetzt, betonte Joachim Jacob vom Verband der ehrenamtlichen Flüchtlingshelferinnen und -helfer "Unser Veto". "Sie lernen kein Deutsch, dürfen nicht arbeiten und sitzen in beengten Containern." Gemeinsam mit Migrationsforscher Gerald Knaus, dem "Kopf hinter dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei", so Akademiedirektor Udo Hahn und der Koordinatorin des Ökumenischen Unterstützerkreises Tutzing, Claudia Steinke, diskutierte er in der Evangelischen Akademie über eine "realistische und menschenwürdige Asylpolitik".

Jacob forderte pragmatische Entscheidungen. Wer seit drei Jahren hier lebe, die Sprache gelernt habe und sich nichts zuschulden habe kommen lassen, solle arbeiten dürfen. Das würde auch den Steuerzahler entlasten. Dem schloss sich Steinke an. Schließlich könne der Großteil der Menschen ohne Bleiberecht gar nicht abgeschoben werden, wie man an den geringen Abschiebezahlen erkenne. Beispielsweise würden Länder wie der Irak Bürger gar nicht zurücknehmen. Dazu komme, dass die Asylverfahren mit durchschnittlich drei Jahren viel zu lange dauerten.

Dabei werden Arbeitskräfte im Landkreis dringend benötigt. Steinke erinnerte daran, dass der Tutzinger Helferkreis mit der Arbeitsagentur vor einigen Jahren 60 ungelernten Kräften innerhalb von einem Monat einen Arbeitsplatz vermittelt habe. Doch vielen sei später die Arbeitsgenehmigung entzogen worden. Stattdessen würden Alten- und Krankenpflegekräfte aus dem Ausland abgeworben, obwohl sie in ihren Heimatländern dringend gebraucht würden und Flüchtlinge, die entsprechende Fähigkeiten hätten, hier die Schule besucht hätten und die Sprache beherrschten, säßen untätig herum.

Die Willkür im Starnberger Landratsamt habe sich gemildert, resümiert eine Ehrenamtliche

Zur Situation trage auch Willkür beim Ermessensspielraum bei den Behörden bei. "Je nachdem, an wen man gerät, gibt es beim gleichen Sachverhalt eine andere Entscheidung", ärgerte sich Steinke. In der jüngsten Zeit sei es in Starnberg immerhin ein wenig besser geworden. "Wir waren zu leise", resümierte eine Integrationslotsin aus dem Publikum. Sie regte an, die "unendlich vielen Erfolgsgeschichten" in den Mittelpunkt zu rücken. Und Pfarrer Peter Brummer ergänzte: "Wir müssen wieder politischer und öffentlicher werden."

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR befinden sich weltweit mehr als 80 Millionen Menschen auf der Flucht, so Hahn. Migrationsforscher Knaus betrachtete diese Summe mit Skepsis. In ihr seien Millionen Menschen enthalten, die eigentlich herausgenommen werden müssten. "Tatsache ist, dass heute fast alle Grenzen mit Gewalt geschlossen sind." Die Zahl der Flüchtlinge würde vor allem wegen der auf der Flucht in Europa geborenen Kinder steigen.

Angesichts der Bilder von Bootsflüchtlingen, die zurückgetrieben oder schiffbrüchig werden, von frierenden Menschen oder Grenzern, die auf Flüchtlinge einschlagen, kritisierte Knaus: "An den EU-Außengrenzen gelten keine Menschenrechte mehr." Dabei könnte die Situation mit einem "Resettlement-Programm" auf legale Basis gestellt werden. "Wir wollen nicht, dass Leute in Boote steigen und sich in Gefahr begeben", versicherte er. Natürlich müsse jeder aus Seenot gerettet, anschließend aber zurückgebracht werden, um keine Nachahmer zu animieren. Dafür sollten Migrationswillige legal geholt und Länder wie die Türkei, die etwa vier Millionen Flüchtlinge aufgenommen hätten, müssten unterstützt werden.

Pragmatisch nannte es Knaus, mit Ländern über die Rücknahme ihrer Bürger zu verhandeln und dafür Stipendien und legale Ausreise- und Arbeitsvisa in Aussicht zu stellen. Unkontrollierte Migration sei nämlich "politisch brandgefährlich", mahnte Knaus und schüre die Angst vor Flüchtlingen. Dabei sei die "große Mehrheit der Bevölkerung nicht unmenschlich, möchte aber Kontrolle". Zum Schluss appellierte Steinke an die Helfer, Briefe mit den Forderungen zur Asylpolitik an den Innenminister der nächsten Bundesregierung zu schreiben.

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Quelle:
SZ vom 13.10.2021
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