Süddeutsche Zeitung

Gastronomie:Das Ende einer Gaststätte mit Geschichte

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Der "singende Wirt von Stockdorf" hat das einstige Café am Bahnhof bekannt gemacht, zuletzt war das Lokal eine Pizzeria. Seit dem Frühjahr ist das "Al Castagno" geschlossen. Nun wird das Gebäude verkauft.

Von Michael Berzl, Gauting

Die Geschichte einer traditionsreichen Gaststätte in Stockdorf geht nach mehr als hundert Jahren zu Ende. Die Pizzeria "Al Castagno" gegenüber vom Bahnhof ist seit dem Frühjahr geschlossen und wird nun von einem Münchner Maklerbüro zum Kauf angeboten. Was dann damit geschieht, ist ungewiss. Das Gebäude könnte auch abgerissen werden, denn unter Denkmalschutz steht es nicht.

Das Interesse an dem Lokal mitten im Wohngebiet ist riesig. Das hat die mit dem Objekt beauftragte Immobilienmaklerin Sara Harms sofort gemerkt, nachdem das Inserat in dieser Woche veröffentlicht wurde. Schon am ersten Tag hätten sich mehr als 50 Anrufer bei ihr gemeldet, zum Teil auch aus der Nachbarschaft. Die potenziellen Käufer hätten die unterschiedlichsten Vorstellungen: von der Sanierung des alten Hauses, um es zu einem Wohnhaus umzubauen, bis hin zum Abriss, um Platz zu schaffen für Neubauten. Ein genauer Kaufpreis ist nicht genannt. "Es geht uns aber nicht darum, hier den letzten Euro rauszuquetschen", sagt Harms.

Und: "Das wäre natürlich das Schönste, wenn das Haus erhalten bliebe und stehen bleibt", sagt die Maklerin und spricht damit auch im Sinne ihres Auftraggebers, dem das alte Gebäude gehört. Die Immobilie befindet sich schon seit vielen Jahrzehnten im Eigentum einer Familie. "Es ist ein schönes Haus mit einem unfassbaren Charme."

Der Weg zum Eingang führt durch einen Garten mit einer Buche und stattlichen Kastanien, die im Sommer Schatten spenden. Über ein paar Stufen geht es am Eingang hinauf zum knapp 95 Quadratmeter großen Gastraum. Von außen sind es viele Details, die dem Haus seinen Charme verleihen: Sprossenfenster, blaue Fensterläden, Erker im Dachgeschoss. Drinnen führt eine massive Holztreppe mit tannengrünem Geländer ins Obergeschoss. In den beiden Etagen über dem Lokal befinden sich zehn Schlaf- und Wohnräume mit insgesamt 210 Quadratmetern Fläche, zum Angebot gehören auch 1220 Quadratmeter Grund.

Im Moment ist es allerdings ein eher trister Charme. Die Tore zu dem Biergarten sind verschlossen. Seit Monaten war hier kein Gast mehr; auf den Tischen, die noch auf dem Kies stehen, hüpfen die Spatzen herum. Die Fenster zum Gastraum sind mit weißen Tüchern zugehängt. Der Glaskasten mit der Speisekarte ist schon bald zugewachsen. Dort hängt ein Zettel mit den Zeilen: "Liebe Gäste und Freunde, unser Lokal ist momentan bis auf Weiteres geschlossen". Und das bleibt wohl auf Dauer so.

Dabei ist es ein Haus mit Geschichte. Es wurde um die Jahrhundertwende gebaut und beherbergte zunächst das Baugeschäft von Fritz Jakobus, wie es in der Ortschronik von Ludwig Berchtold heißt. Später wurde das Haus trotz anfänglicher Bedenken der Gemeinde Gauting zur Gaststätte umgebaut. Man befürchtete durch den vorgesehenen Alkoholausschank negative Auswirkungen auf das nahe gelegene Kinderheim, berichtet der Chronist. Doch das übergeordnete Bezirksamt habe im April 1918 den Betrieb eines Tagescafés mit Ausschank von Likör und Süßwein genehmigt. Im Mai 1929 erwarb der Cafetier und Volksssänger Toni Hermann das Lokal und machte es als "singender Wirt von Stockdorf" über den Ort hinaus bekannt. Es folgten diverse andere Betreiber, ehe die Gaststätte zur Pizzeria wurde und von 1989 an über Jahrzehnte blieb.

Im April hatte der Pächter auf Nachfragen noch davon gesprochen, dass er nach einer Urlaubspause wieder eröffnen wolle, doch nun gibt er nach 35 Jahren doch auf. Die Homepage des "Al Castagno" steht im Internet. Die Öffnungszeiten und die Speisekarte ist nachzulesen - und auch der Satz: "Wir warten auf Sie".

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