Süddeutsche Zeitung

Freizeit:Diese Weßlingerin will in 24 Stunden 100 Kilometer durchs Fünfseenland wandern

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Mehr als 2000 Starter haben sich für den "Mammutmarsch" angemeldet, nur wenige erreichen das Ziel. Claudia Würfel will es probieren.

Von Carolin Fries, Weßling

Wasser steht auf der Liste von Claudia Würfel ganz oben. Dann: "Powerbank inkl. Kabel ganz unten, Essen, Geld. Gürteltasche: Bonbons, Tatüs, Labello, Handy." Die 45 Jahre alte Lehrerin aus Weßling hat alles akribisch notiert, es soll am Samstag nichts schief gehen. Sie hat sich für den Mammutmarsch angemeldet, innerhalb von 24 Stunden gilt es - überwiegend nachts - 100 Kilometer zu wandern. Insgesamt haben sich 2250 Teilnehmer für die Strecke über 1200 Höhenmeter durch das Fünfseenland angemeldet. Laut Veranstalter werden nur etwa 20 bis 40 Prozent das Ziel erreichen.

Es ist Claudia Würfels erster Versuch. Ihr Ziel ist es, bis nach Hause zu laufen, denn die Strecke führt bis auf zweihundert Meter an der Haustür des Einfamilienhauses am Ortsrand von Oberpfaffenhofen vorbei. Der Schützenverein "Frohsinn" wird den Wanderern beim fünften und letzten Versorgungsposten ein trockenes Plätzchen, Getränke und Snacks anbieten. Hier hat Claudia Würfel vor einem Jahr nachts um zwei Uhr Kaffee, Cola und Weißbier ausgeschenkt, eine junge unterkühlte Frau gewärmt. Sie hat Blasen gesehen, die sie nie mehr vergessen wird, und stark geschwächte Wanderer zum Krankenwagen begleitet. Damals sagte ihr Mann: "Das wär doch was für dich!"

Wandern ist für sie Meditation

Denn Claudia Würfel geht gerne schnell spazieren, ein paar Jahre zuvor hatte sie einen Nordic-Walking-Kurs bei der Volkshochschule gemacht. Doch sie zählt sich selbst nicht zu den "sportlichen Leuten", zögerte zuerst. Im November hat sie sich dann angemeldet, 75 Euro kostet das Standard-Paket. Seither trainiert sie regelmäßig, geht unter der Woche abends mal sechs bis zehn Kilometer und am Wochenende bis zu 30. "Es ist so genial hier", schwärmt sie von der Landschaft. Vor vier Wochen hat sie beim König-Ludwig-Gedächtnismarsch mitgemacht, ist erstmals 50 Kilometer gewandert. "Ich bin zwar als eine der Letzten angekommen, aber mit einem Lächeln", sagt sie stolz.

Für Claudia Würfel ist Wandern Meditation, eine Auszeit vom Job an der Mittelschule in Herrsching und der Familie. Sie geht bewusst alleine. "Unterwegs mal mit anderen zu quatschen, ist okay, aber ich muss mein eigenes Tempo gehen." Nach ein paar Kilometern hat sie ihren Rhythmus gefunden, dann dreht sich die Hüfte wie im Takt, der Stockeinsatz gibt die Melodie vor. Sie trägt immer ihre Wanderhose und ein Baumwollshirt, außerdem Kompressionsstrümpfe, "wegen der Blasen". Die schmerzhaften Hohlstellen, die sich bei Reibung unter den Hautschichten bilden, machen Claudia Würfel die größte Angst. Sie hat schon drei Paar Schuhe ausprobiert, Hirschtalg, verschieden Socken. Auf ihrer To-Do-Liste vor dem Marsch steht: "Linke Ferse Außenseite Pflaster, rechter kleiner Zeh Überzieher". Damit sollte es gehen. Blasenpflaster liegen sowieso ganz oben im Rucksack.

Die Starter gehen am Samstagnachmittag beim Sportplatz in Krailling zeitversetzt auf die Strecke, Claudia Würfel gehört zur ersten Startergruppe um 16.30 Uhr. Zwischen vier und sieben Kilometer schaffen die Teilnehmer im Schnitt pro Stunde, die ersten Finisher werden gegen sechs Uhr morgens im Ziel erwartet. Die Runde führt über Forstenried und Hohenschäftlarn nach Starnberg und dort am Westufer des Sees hinunter nach Tutzing und von dort über Herrsching und Weßling zurück zum Sportplatz nach Krailling. Wer es bis zur zweiten Versorgungsstation in Percha schafft, hat Anspruch auf eine Teilnehmerurkunde, die auf Wunsch direkt an den Stationen ausgedruckt wird. Damit alle Teilnehmer auf der Strecke bleiben, gibt es einen GPS-Track zum herunterladen.

Claudia Würfel lässt sich nicht hetzen, sie hat eine Durchschnittsgeschwindigkeit von fünf km/h. Zwischendurch joggt sie ein paar Meter, um die Muskulatur zu lockern. Und Pausen gehören für sie auch dazu - am liebsten am See, wenn die Sonne aufgeht. "Magisch" sei dann die Stimmung. Sie richtet sich alleine nach ihren Bedürfnissen, auch beim Essen. "Man muss seine Gelüste befriedigen." Deshalb hat sie sowohl Wurst als auch Süßigkeiten dabei. Wenn es ihr langweilig wird, hört sie ein Hörbuch, Liebesromane oder sanfte Krimis. "Einen Fitzek brauch' ich nicht, wenn ich im Dunkeln durch den Wald gehe." Vor zwei Wochen hat Claudia Würfel erfahren, dass der Schützenvereins-Posten heuer erst auf Kilometer 84 liegt. Im vergangenen Jahr waren es bis dorthin nur knapp 70 Kilometer gewesen. Sie will es trotzdem probieren, und wenn es ihr dann noch gut geht, vielleicht sogar die hundert voll machen. Fest steht so oder so: "Meine Familie wird mir einen roten Teppich ausrollen."

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SZ vom 27.07.2019
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