Süddeutsche Zeitung

Starnberg:"Die Umfahrung muss zurück in die Schublade"

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Mit dem Beschluss zur weiteren Untersuchung einer ortsfernen Umfahrung hat der Stadtrat den Bund Naturschutz nachhaltig provoziert: Er hält das Vorhaben weder für zukunftsweisend noch für aussichtsreich.

Von Peter Haacke, Starnberg

Schlafende Hunde, so weiß es ein altbekanntes deutsches Sprichwort, soll man nicht wecken. Doch genau dies ist Starnbergs Bürgermeister Patrick Janik (CSU, UWG, SPD, BLS) und der überwiegenden Mehrheit des Stadtrats mit Ausnahme der Grünen gelungen: Mit der Willensbekundung, die Untersuchungen zum Bau einer ortsfernen Umfahrung der Kreisstadt wieder aufzunehmen, sobald wieder genug Geld in der städtischen Kasse ist, hat das Gremium die Kreisgruppe Starnberg im Bund Naturschutz auf den Plan gerufen. Deren Kreisvorsitzender Günter Schorn bezeichnet das Vorhaben in einem Schreiben als "von vorgestern" und fordert: "Die Umfahrung muss zurück in die Schublade."

Janik hatte das Thema in der Vorwoche überraschend auf die Tagesordnung gesetzt, obwohl der Stadtrat in seiner Sitzung im Juni 2022 in Wangen mehrheitlich beschlossen hatte, weitere Untersuchungen und Planungen für eine ortsferne Umfahrung, die das Würmtal auf einer Länge von 8,3 Kilometern durchqueren würde, bis auf Weiteres einzustellen. Grundlage für die damalige Entscheidung war das Ergebnis einer 190 000 Euro teuren Expertise zur Tierwelt im Planungsbereich der Trasse. Weitere Untersuchungen - ausstehend wären noch eine Wirkungs- und Konfliktanalyse sowie eine hydrogeologische Expertise - würden insgesamt gut eine halbe Million Euro kosten.

Keinerlei Verständnis für das Zurück des Stadtrats unter dem Vorbehalt der Zahlungsfähigkeit hat Naturschützer Schorn: Ohne erkennbaren Grund sei nun "die mögliche Zerschneidung und damit Zerstörung des Würmtals" beschlossen worden. Bereits die Charakterisierung der Abstimmung vor eineinhalb Jahren in der Wangener Mehrzweckhalle zum Stopp der Planungen sei von den Tunnelgegnern als "Sündenfall" und aus "einer launigen Stimmung heraus" diskreditiert worden. Dabei sei es gar nicht um die Bewertung einer Straßenplanung oder eventuelle K.-o.-Kriterien für die Umfahrung gegangen, sondern lediglich um eine faunistische Kartierung.

Gleichwohl bedeuten aus Sicht des Bund Naturschutz allein die gefundenen Tierarten ein Aus für die Umfahrung. Neben verschiedenen Singvögeln hatten die Experten auch gefährdete und besonders streng geschützte Vogelarten - darunter Grau-, Grün- und Schwarzspecht, Mäusebussard, Rotmilan, Sperber, Turmfalke, Waldohreule und Wespenbussard - entdeckt. Hinzu kommen Reptilien wie Blindschleiche, Berg- und Zauneidechse, Schling- und Ringelnatter, die allesamt geschützt sind. Ebenso wie die große Familie der Amphibien - Kamm- und Teichmolch sowie verschiedene Froscharten - und besonders geschützte Arten von Schmetterlingen. Das Büro "H2 - Ökologische Gutachten Hess und Heckes" hatte die Tierwelt in einem theoretischen Korridor der Umfahrungstrasse ein Jahr lang unter die Lupe genommen und war bei der Bestandsaufnahme im FFH- und Landschaftsschutzgebiet auf 38 gefährdete, seltene, anspruchsvolle oder europarechtlich relevante Tierarten gestoßen.

Für Schorn ist der Bau einer Starnberger Umfahrung auch insofern abwegig, als andere nach europäischem und deutschem Naturschutzrecht wichtige Belange noch gar nicht untersucht wurden. "Da lassen sich noch weitere Ausschlusskriterien für eine Straße finden", schreibt der BN-Kreisvorsitzende. Dieser Ansicht ist im Grundsatz auch Bürgermeister Janik, doch fühlt er sich an die Zusage des Stadtrats aus dem Jahr 2017 gebunden: Das Gremium entschied sich damals für den Bau des B2-Tunnels unter der Maßgabe: "Tunnel bauen - Umfahrung prüfen".

Die Beweggründe zur Entscheidung des Stadtrats sind offenkundig: Der Bürgermeister und die politischen Befürworter der Tunnellösung möchten sich nicht nachsagen lassen, sie würden dem Credo aus dem Jahr 2017 keinen Wert mehr beimessen. Dass der Stadtrat die Zusage wegen der prekären Haushaltslage der Stadt derzeit - und wohl auch auf absehbare Zeit - voraussichtlich nicht halten kann, ist eine andere Sache. Schorn erachtet die Planung der Umfahrung derweil als "absolut nicht zukunftsweisend, denn heute weiß man, dass Wälder wichtig sind für Arten- und Klimaschutz".

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