Süddeutsche Zeitung

Landkreis Starnberg:Der mysteriöse Unfall-Kreisel von Söcking

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Seit der Eröffnung der Westtangente vor knapp zwei Jahren übersehen immer wieder Autofahrer den neuen Kreisverkehr und rauschen über die Insel. Elf Kollisionen sind bisher passiert. Die Behörden stehen vor einem Rätsel.

Von Peter Haacke, Starnberg

Die Fachleute stehen vor einem Rätsel: Seit Eröffnung der Westtangente im Dezember 2018 hat es am Kreisel zwischen Söcking und Perchting schon elf Mal gekracht. Dabei "ist alles ganz normal", sagt Peter Madjar, Verkehrsexperte der Starnberger Polizei, "wir wissen einfach nicht, warum es hier vermehrt zu Unfällen kommt".

Zuletzt verpasste ein 31- jähriger Mann aus Pähl am Montag den Kreisverkehr: Von Perchting kommend war er in Richtung Starnberg unterwegs und - nach eigenen Angaben - kurz abgelenkt, weil er die Klimaanlage seines Autos neu justierte. Dabei übersah er den Kreisel - und fuhr geradeaus weiter. Auf der gegenüberliegenden Seite prallte der Wagen gegen einen Kieshügel. Der Fahrer blieb zum Glück unverletzt, aber am Fahrzeug entstand Sachschaden in Höhe von mindestens 15 000 Euro.

Kein Einzelfall: Im Oktober rauschte ein 39-Jähriger aus dem Landkreis Augsburg über die Insel, nur zwei Tage später erkannte frühmorgens ein 65-Jähriger vom Maxhof kommend den Kreisverkehr zu spät. Spektakulär auch das Manöver eines alkoholisierten 75-jährigen Starnbergers, der im Januar mit seinem Kompakt-SUV über die Mittelinsel gepflügt war, eine Richtungstafel überfuhr und schließlich mit drei platten Reifen nebst massivem Frontschaden zum Maxhofkreisel zurückkehrte.

Ebenfalls im Januar war eine 30-Jährige aus Starnberg zu schnell unterwegs und nahm im aufkommenden Nebel den direkten Weg über den Hügel. Ein intensives Gespräch im Auto indes lenkte einen 68-jährigen Fahrer aus Weßling offenbar derart ab, dass er in der Nacht den Kreisverkehr auf der Staatsstraße zwischen Söcking und Perchting übersah.

Doch auch schon vor der Eröffnung der Starnberger Westumfahrung hatten zwei Autofahrer den Kreisverkehr schlicht ignoriert und waren schnurstracks über die Insel gefahren. Einer der beiden Havaristen stand dabei unter Alkoholeinfluss. Sein Wagen verlor ein komplettes Rad, das nunmehr dreirädrige Gefährt des Unfallflüchtigen fräste tiefe Rillen in den frischen Asphalt.

Normalerweise sind Kreisverkehre eine runde Sache, die gegenüber gewöhnlichen Kreuzungen mehrere Vorteile haben: Da es keine Linksabbieger gibt, verringern sich Konfliktpunkte. Zudem wird die durchgehende Fahrbahn unterbrochen, was zu reduziertem Tempo bei der Einfahrt in den Kreisel führt. Beides bringt Verkehrssicherheit - so die Theorie. Doch im Landkreis Starnberg, wo aktuell knapp 20 Kreisverkehre existieren, gibt es in der Praxis eben einen Ausreißer: den Söckinger Kreisel.

Als Ursache kommen nicht angepasstes Tempo, Unaufmerksamkeit und Alkohol am Steuer ebenso in Frage wie eine veraltete Streckenführung auf Navigationsgeräten

Beim Staatlichen Bauamt Weilheim rätselt man ebenfalls, warum sich ausgerechnet dieses Bauwerk als derart unfallträchtig erweist. "Der Kreisverkehr ist gebaut wie jeder andere", sagt ein Mitarbeiter der Behörde, "wir erkennen keinen Fehler". Die Sichtverhältnisse seien einwandfrei, die Beschilderung aus allen vier Richtungen absolut ausreichend. Der Kreisel weise auch "keine Abnormität" auf. Und trotzdem knallt es hier immer wieder - aus allen Richtungen und aus verschiedensten Gründen. Wiederholt hat sich die Unfallkommission des Landkreises, bestehend aus Mitarbeitern des Landratsamtes, des Staatlichen Bauamtes und der Polizei, eingehend mit den Verhältnissen beschäftigt, ein gemeinsamer Nenner aber wurde bislang nicht gefunden.

Als Ursache kämen nicht angepasstes Tempo, Unaufmerksamkeit und Alkohol am Steuer ebenso in Frage wie eine veraltete Streckenführung auf Navigationsgeräten, heißt es. Für eine amtliche Ausweisung des unfallträchtigen Söckinger Kreisverkehrs als Unfallschwerpunkt reicht das Geschehen allerdings nicht: Laut polizeilicher Definition müssten dafür an einer Stelle binnen drei Jahren drei Unfälle mit Verletzten passieren. Doch abgesehen von einer einzigen Ausnahme mit einem Leichtverletzten kam es bei den bislang acht Unfällen in diesem Jahr ausschließlich zu Sachschäden, die meisten davon selbst verursacht.

Gleichwohl ist jeder Unfall einer zu viel. Und so erwägt man nun beim Staatlichen Bauamt, die Hinweisschilder auf der Söckinger Verkehrsinsel doppelstöckig - also doppelt so hoch wie bisher - anzulegen, um allein die optische Präsenz der Anlage zu verbessern. Beim Maxhof-Kreisel auf der Bundesstraße 2 zwischen Starnberg und Pöcking, wo es seit 2011 wiederholt zu Unfällen gekommen war, habe dies auch geholfen, heißt es vom Staatlichen Bauamts. Allerdings war dieser Kreisverkehr anfangs auch zweispurig, was für viele Autofahrer an dieser Stelle offenbar eine Überforderung darstellte. Eine Reduzierung der Fahrspuren aber kommt in Söcking nicht in Frage: Der Kreisel ist und bleibt nur einspurig.

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SZ vom 04.11.2020
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