Süddeutsche Zeitung

Rätselhafte Verluste:Aus diesem Garten verschwindet eine Puppe nach der anderen

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Das Gautinger Ehepaar Ertsey dekoriert seinen Garten seit 15 Jahren mit Engel, Superman und den "Men in Black", die es passend zur Jahreszeit oder zur Wiesn einkleidet. Dann nahm eine Diebstahl-Serie ihren Lauf.

Von Carolin Fries, Gauting

Der blonde Engel blieb nicht lange alleine. Ulrike und Andreas Ertsey entschieden sich, ihrer Schaufensterpuppe männliche Gesellschaft zu besorgen. "Die gab es dann allerdings nur im Viererpack", erzählt der Immobilienmanager aus Gauting. Mit den fünf Puppen dekoriert das Ehepaar seit 15 Jahren seinen Garten, insbesondere am Tor an der Straße posieren "Superman" und "Osterhasi", die "Men in Black" oder Nikoläuse. Es macht ihnen Spaß, die Puppen passend zur Jahreszeit oder einem Anlass zu kleiden und mit entsprechenden Accessoires auszustatten. Jedenfalls solange bis die Puppen - eine nach der anderen - verschwanden. Jetzt gibt es nurmehr einen einzigen Kerl, der mit schwarzer Sonnenbrille am Eingangstor der Ertseys wacht.

Vor elf Jahren ist die Familie von Krailling nach Gauting in das Haus an der Germeringer Straße gezogen, das schon außerhalb der geschlossenen Ortschaft liegt. "Es war, als hätte dieses Haus auf uns gewartet", sagt die 58 Jahre alte Ulrike Ertsey, die in der Mittagsbetreuung in Krailling arbeitet. Öffnet sie die Terrassentür, sind es nur ein paar Schritte in den Wald, "früher war es mal ein Forsthaus", erzählt Andreas Ertsey. Vorne an der Straße ist es weniger idyllisch. 60 Stundenkilometer sind hier auf der kurvigen Strecke zugelassen, "die wenigsten halten sich daran", klagt Ertsey.

Auch deshalb stehen die Puppen am Gartenzaun unter der großen Fichte, die den Regen abschirmt. "Da reißt es die Leute schon für einen Moment", weiß er. Manchmal geht es ihm selbst noch so, dass er sich über die Gestalten in seinem Garten erschrickt. Doch sie deshalb wegzuräumen, kommt nicht in Frage. "In der Abgeschiedenheit hier ist das gar nicht so verkehrt."

Inzwischen kennt die Puppen wohl jeder Gautinger, Hunderte von Schulkindern sehen sie morgens aus dem Bus auf dem Weg zum nahegelegenen Schulcampus. Zum St. Patricks Day winkten grün gekleidete Puppen mit irischer Fahne, zur Wiesn wurden in Tracht die Masskrüge gestemmt. Und klar: Wenn auf dem Schulgelände das Kulturspektakel tobte, trugen die Puppen das passende T-Shirt. "Eine Dame sagte mir einmal im Spaß, ohne uns wüsste sie gar nicht, welche Jahreszeit grad sei." Sie bekämen ausschließlich positive Rückmeldungen, unter anderem habe der "Bahnhofsmaler" Johannes Schiller sie persönlich ermutigte, ihre Idee fortzusetzen. So wohltuend seien die Puppen. Die Ertseys hatten auch nie vor, damit aufzuhören - bis eines nachts vor etwa drei Jahren der blonde Engel verschwand.

"Sie war eine besonders schöne Puppe", schwärmt Andreas Ertsey noch heute. Sie stammte aus der Boutique der Mutter, die sie damals aufgelöst hatten. An ihr hingen auch deshalb die Herzen der Familienmitglieder. Die Ertseys erstatteten Anzeige und erfuhren Wochen später, dass die Polizei die Puppe auf einem Parkplatz im Wald nur wenige Kilometer entfernt gefunden hatte - zerstückelt und in ihre Einzelteile zerlegt. "Das hat uns schon getroffen", sagt Andreas Ertsey. 2017 wird Superman geklaut, vor wenigen Wochen verschwindet schließlich einer der "Men in Black".

Ulrike und Andreas Ertsey sind verärgert. Und ratlos. Sie könnten aufhören, mit Puppen zu spielen, sie an- und umzuziehen, eigens Kleider für sie zu kaufen, die dann womöglich nur einen Winter lang halten. Doch wenn Andreas Ertsey sich so die Bilder der Puppen auf seinem Computer anschaut, wie sie am Gartentisch Tennis und Karten spielen oder sich wie im Advent 2014 jede Woche ein weiterer Nikolaus zum Christkindl gesellt (in einer der Manteltaschen überwinterte eine Maus) - dann hat er einfach Lust, weiterzumachen. "Ich bin schon wieder auf der Suche nach neuen Puppen", gesteht er. Dabei ist er wählerisch, nimmt nicht alles, was im Internet angeboten wird. "Möglichst menschlich" müssen die Puppen sein, die sich Andreas und Ulrike Ertsey in den Garten holen. Gut möglich, dass schon bald wieder mehrere Kunststoff-Arme am Gautinger Ortsrand über den Zaun winken.

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Quelle:
SZ vom 24.10.2018
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