Süddeutsche Zeitung

Bürgerversammlung:Die Pöckinger Millionen-Lücke

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Einst galt das Dorf am Westufer des Starnberger Sees als Krösus, doch die fetten Jahre sind vorbei. Bürgermeister Schnitzler plagen Probleme, die massive Auswirkungen auf den gesamten Landkreis haben könnten.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Pöcking

Jahrzehntelang konnte Pöcking als reichste Gemeinde im Landkreis aus dem Vollen schöpfen. Doch nun droht Pöcking das gleiche Schicksal wie vielen anderen Kommunen, die ihre laufenden Ausgaben nicht mehr aus den Einnahmen decken können. Dass die aktuelle Finanzlücke nur durch eine millionenschwere Entnahme aus den Rücklagen gedeckt werden muss, liegt aber beileibe nicht daran, dass Pöcking etwa schlecht wirtschaftet.

Auf der Bürgerversammlung am Mittwoch nannte Bürgermeister Rainer Schnitzler vor 80 anwesenden sowie 68 online zugeschalteten Bürgern als Hauptursache, dass den Kommunen von Bund und Land immer mehr Aufgaben zugewiesen werden. Finanzielle Unterstützung indes lasse auf sich warten oder bleibe ganz aus. Hinzu kämen viele durch aktuelle Krisen ausgelöste Probleme, unter anderem massiv gestiegene Energiepreise, Inflation oder Fachkräftemangel.

Die finanzielle Lage in Pöcking ist ernst. Seit zehn Jahren hängt über der Gemeinde das Damoklesschwert einer drohenden Gewerbesteuerrückzahlung in Höhe von insgesamt 30 Millionen Euro. Und ebenso lange wartet Pöcking auf eine entsprechende Gerichtsentscheidung: Sollte die Kommune die Nachforderungen bezahlen müssen, hätte das weitreichende Folgen. Die Gemeinde könnte im Gegenzug ihren Anteil an der Kreisumlage - dieses Jahr sind es immerhin 13,46 Millionen Euro - auf null setzen, und die riesige Finanzlücke müsste dann von den übrigen Gemeinden im Landkreis ausgeglichen werden. Doch die sind ebenfalls klamm.

Ein weiteres finanzielles Debakel für Pöcking ist die Pleite der Greensill Bank. Pöcking hatte dort fünf Millionen Euro angelegt. Man hatte einem Berater vertraut, der die Bank mit einem A-Rating empfahl, obwohl sie bereits auf B herabgestuft worden war. Da Schnitzler im Rechenschaftsbericht das Thema nicht angesprochen hatte, fragte ein Bürger nach, wo die ausstehenden Millionen geblieben seien. Schnitzler zufolge hatten die Pöckinger damals Schwierigkeiten, ihr Millionenvermögen unterzubringen: "Keine Bank wollte mehr Geld haben." Seit zwei Jahren wird Greensill von einem Insolvenzverwalter abgewickelt. Dieser erstatte zwar regelmäßig Bericht, aber davon darf laut Schnitzler nichts nach außen dringen. Da Greensill versichert war, hoffe er, dass nicht das ganze Geld weg sei, sagte er, um sogleich einzuschränken: "Wie viel zurückkommt, kann ich nicht sagen, auch nicht wie lange es dauern wird."

Auf Nachfrage eines Bürgers, ob der Berater wegen seiner Fehlinformationen haftbar gemacht werden könne, erklärte der Rathauschef, die Gemeinde habe eine entsprechende Klage eingereicht. Doch es handle sich um ein mittelständisches Unternehmen, das durch größere Forderungen in die Insolvenz getrieben werden könne. Daher mache er sich derzeit keine allzu großen Hoffnungen auf eine größere Schadenersatzsumme.

Große Sorgen bereiten Schnitzler die zahlreichen Vorgaben durch Bund und Land, während die Finanzierung zum Großteil an den Kommunen hängen bleibe. Ob der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, kommunale Wärmeplanung oder Breitbandausbau, 49-Euro-Ticket oder Umbau der Krankenhausfinanzierung: "Das wird ein Desaster", sagte Schnitzler, "die Kommunen können das nicht stemmen". Allein im Flüchtlingsbereich müsse der Landkreis neun Millionen Euro zuschießen, die nicht gegenfinanziert werden, sagte Schnitzler, der auch Bürgermeistersprecher ist.

"Die Lage in Pöcking ist richtig prekär geworden"

Auch bei der Kinderbetreuung seien die Gemeinden finanziell am Ende. "Die Lage in Pöcking ist richtig prekär geworden". Bund und Land hätten Vorgaben geschaffen und damit Erwartungen bei den Eltern geweckt, die in der Praxis nicht umsetzbar seien. Schnitzler: "Woher das Personal nehmen. Finanziert das auch der Freistaat? Mir fehlt dazu leider der Glaube." Die Bayern-Koalition verspreche mehr Kinderbetreuungsplätze und Ganztagsplätze in Grundschulen, obwohl die Gemeinden schon jetzt ihre Stellen nicht besetzen könnten.

Nach seinen Angaben musste im Kindergarten St. Pius nach der Kündigung von drei Fachkräften eine Gruppe geschlossen werden. Im Hort der Grundschule falle von Januar an ebenfalls eine Gruppe aus. Ein weiteres Problem sind Schnitzler zufolge die stark gestiegenen Energie-, Bau- und Personalkosten, sodass die Gemeinde ihre Investitionen auf das Nötigste beschränken und ihre Gebühren anheben muss.

Der Rathauschef hatte aber auch Positives zu vermelden: Die Energiewende werde vorangetrieben, schon bald könnten zwei Freiflächenfotovoltaik-Anlagen entstehen. Beim Thema kommunale Wärmeplanung äußerte Schnitzler indes Bedenken. Ein Nahwärmenetz, beispielsweise durch Geothermie, sei nur dann wirtschaftlich, wenn es große Abnehmer gebe. Das sei in Pöcking aber nicht der Fall. Auch ob einmal Gas durch Wasserstoff ersetzt werden könnte, beurteilte Schnitzler als "verhalten optimistisch".

Trotz der starken Belastung der Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung konnte Schnitzler auch hier Erfolge vermelden. Viele der insgesamt 152 Flüchtlinge und 108 Ukrainer, die die Gemeinde seit 2015 aufgenommen habe, hätten Arbeit gefunden. So hätten viele Lücken bei Hilfstätigkeiten - etwa in Gastronomie, Altenpflege, im Supermarkt oder bei Reinigungsdiensten - geschlossen werden können. Obwohl viele Flüchtlinge als Analphabeten angekommen seien, hätten einige in Pöckinger Betrieben eine Ausbildung in qualifizierten Berufen absolviert.

Die Kritik der Bürger beschränkte sich auf ein einzelnes Bauvorhaben, die teilweise defekte Straßenbeleuchtung und dass es dieses Jahr keine Weihnachtsbeleuchtung gibt. Grund: Die festliche Illumination passt nicht auf die neuen LED-Leuchten.

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