Süddeutsche Zeitung

Klimaaktivist vom Starnberger See:Der Architekt, der nicht bauen will

Lesezeit: 3 min

Robert Philipp bekümmern die Folgen des Klimawandels. Mit Initiativen wie dem "Abrissatlas" setzt er sich deshalb dafür ein, dass mehr saniert statt neu gebaut wird. Und manchmal schlüpft er für Protestaktionen auch in ein Eisbärenkostüm.

Von Tim Pohl, Pöcking

Der Termin für das Gespräch mit Robert Philipp kommt sehr spontan zustande. Für Philipp kein Problem, es gehe schließlich um wichtige Themen, dafür nehme er sich gerne Zeit. Es geht um den Klimawandel - ein Thema, das Philipp sehr am Herzen liegt, wie er später erzählen wird. Der 62-Jährige ist Architekt und Energieberater. Und weil das eigentlich zwei Branchen sind, die sich nicht immer so gut miteinander vertragen, hat er zusätzlich noch eine Ausbildung zum Mediator gemacht.

Gerade die Baubranche durchläuft mit Blick auf den globalen Klimawandel derzeit eine starke Transformation; da kann es durchaus zu Reibereien kommen. Um die notwendigen Veränderungen voranzutreiben, ist Philipp aktiv an verschiedenen Initiativen beteiligt. Eine davon ist der "Abrissatlas". Ein Online-Katalog, der zeigt, wo in Deutschland auch solche Häuser abgerissen werden sollen, die man eigentlich noch erhalten könnte.

"Wir können es uns nicht mehr leisten, nur noch neu zu bauen", erläutert der Architekt. "Wir müssen einen neuen Umgang mit dem Bestand finden." Was er damit meint: Beim Bau der alten Häuser wurde Energie verbraucht. Zum Beispiel wurde bei der Zementherstellung Kohlenstoffdioxid emittiert. Das CO₂ wurde zwar schon vor Jahren freigesetzt, doch das Haus lagert diese Energie noch heute. Graue Energie nennt man das in der Baubranche. "Wer abreißt, dem muss das dann in Rechnung gestellt werden", fordert Philipp wegen der zusätzlichen Umweltbelastung. Ganz abgesehen davon, dass während des Abrissprozesses auch wieder Energie verbraucht und Bauschutt kaum recycelt wird.

Nachhaltiger wäre es seiner Ansicht nach, den Bestand intelligent umzubauen. Denn dass Nachverdichten essenziell ist und neue Nutzungsanforderungen bestehen, das will Philipp gar nicht bestreiten: "Wohnraum, Energieverbrauch und Barrierefreiheit - das sind Themen, die wir angehen müssen, aber das können wir im Bestand", sagt er. Genug Potenzial dafür gebe es: Wer mehr Platz brauche, könne das Dachgeschoss ausbauen oder ein Stockwerk draufsetzen; wer weniger heizen wolle, könne die Außenhülle dämmen; und ein Platz für einen Aufzug lasse sich häufig auch finden. "Man müsste sich dafür aber die Zeit nehmen und einen fairen und gerechten Umgang mit dem Bestand finden."

Auch bei Philipp in der Nachbarschaft steht so ein Abrisshaus

Philipp selbst wohnt in Pöcking am Starnberger See. Auch dort läuft er täglich an einem Grundstück vorbei, auf dem die aktuelle Immobilie abgerissen werden soll. So etwas könne er nicht verstehen. Auf die Frage, ob er eine Idee habe, was man stattdessen dort machen könnte, sagt er: "Ich will gar keine Idee haben." Ihm gehe es viel mehr darum, dass noch mehr Leute darüber nachdenken, was alternative Lösungen sein könnten. Es dürfe nicht den einen geben, der Ideen vorgibt. "Wir müssen diese große Herausforderung gemeinsam angehen. Auf Partizipation kommt es an."

Um das Klimabewusstsein zu steigern, setzt Philipp sich für seine Anliegen häufig in einem Eisbärenkostüm ein. So gekleidet besucht er beispielsweise Stadtratssitzungen in Starnberg, wenn es um den Bau des B2-Tunnels geht. Der Tunnel soll den Verkehr innerhalb der Stadt zwar reduzieren, aber Philipps Ansicht nach löst der Tunnel das eigentliche Problem gar nicht: "Die Autos fahren ja dann immer noch." Oder er stellt sich mit seinen Mitstreitern vor das Justizzentrum in München, um gegen den Abriss zu demonstrieren -natürlich auch alle im Eisbärenkostüm.

Was muss sich also in der Baubranche ändern, damit man einen nachhaltigen Wandel schafft? Wenn es nach Philipp geht, ist das ganz klar: "Wir brauchen einen sofortigen, radikalen, aber gleichzeitig wohlwollenden Stopp." Wer Probleme wie Wohnungsnot nachhaltig lösen wolle, müsse eben erst einmal durchschnaufen und überhaupt darüber nachdenken, was man dafür jetzt eigentlich braucht. "In unserer Leistungsgesellschaft muss man immer sofort eine Idee parat haben. Aber wenn wir mal kurz pausieren, kommen vielleicht auch die leiseren und besseren Ideen zu Wort." Ein Architekt, der sich dafür einsetzt, dass wir Abstand vom Bauen nehmen - der Klimawandel hat dafür gesorgt, dass sich Philipps Sichtweise auf den eigenen Beruf radikal verändert hat.

Es ist ein Kampf, der durchaus frustrierend klingt. Aber aufgeben will Philipp nicht: "Natürlich hatte ich auch Zeiten voller Frustration, als ich gemerkt habe, was da mit dem Klimawandel auf uns hereinbricht." Inzwischen geht er das alles gelassener an, denn er habe gemerkt, je verbissener man nach Lösungen suche, desto weniger Erfolg werde man haben. Stattdessen gehe er Sachen zuversichtlich an und schaue gelassen dabei zu, wie weit er damit komme. Einen Versuch sei es immer wert. Hoffnung mache ihm vor allem die junge Generation: "Bei meinen Projekten bin ich oft der einzige alte, weiße Sack im Raum", sagt er. "Dabei könnten wir so viel erreichen, wenn alle Generationen gemeinsam miteinander reden."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6327815
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.