Süddeutsche Zeitung

Musik:Der Vater des Erfolgs

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In der von Julius Acher vor 30 Jahren gegründeten Gruppe "New Orleans Dixie Stompers" sammelten seine Söhne von "The Notwist" ihre ersten Banderfahrungen - und spielen auch heute noch gelegentlich mit

Von Armin Greune, Weilheim

Als Barbara und Julius Acher zum ersten Mal ein Konzert ihrer Söhne besuchten, fühlten sie sich ein wenig deplatziert: "Wir waren mit Abstand die Ältesten und wurden gefragt, ob wir vom Jugendamt oder der Presse sind", erzählt die Mutter. Auf das, was dann auf der Bühne abging, waren sie nicht wirklich vorbereitet: "Ich hatte nur gehört, wie vor Konzertbeginn ein Zuhörer sagte: Um Gottes willen, ich hab' meine Ohrstöpsel vergessen." Der vom gerade angesagten Grunge geprägte lautstarke Auftritt von The Notwist in einer Ulmer Turnhalle ist den Eltern plastisch in Erinnerung geblieben.

Wer Julius Acher erzählen hört und lachen sieht, möchte nicht glauben, dass dieser herzliche, lebhafte Mann heuer schon 80 Jahre alt geworden ist. Und auch seine Band feiert gerade runden Geburtstag: Im Dezember 1988 hatten die New Orleans Dixie Stompers ihren ersten Auftritt in einer Bar in Garmisch. Seitdem sind wohl an die 1000 gefolgt - in Biergärten, Clubs und Autohäusern; auf Ausflugsfahrten, Märkten, Empfängen und Demonstrationen; bei Privatfeiern und Jazzfestivals wie in Regensburg, Burghausen oder Dresden. Gerade im Fünfseenland sind die Dixie Stompers bestens eingeführt: Regelmäßig geben sie im Schloss Seefeld, im Biergarten der Alten Villa Utting oder auf dem Museumsschiff Tutzing Konzerte. Bis vor 13 Jahren der Gasthof Obermühlthal die Tore schloss, war die Combo dort regelmäßig zum Frühschoppen engagiert.

Was als reines Laienensemble begann, ist längst zum Nebenprojekt von Profis geworden. "Ich bin der Einzige, der es nicht zum Berufsmusiker gebracht hat", sagt Julius Acher. Dafür zählen die beiden anderen verbliebenen Gründungsmitglieder der Dixie Stompers zu den viel beschäftigtsten deutschen Musikern und haben Fans auf der ganzen Welt: Seine Söhne Markus und Micha Acher sind mit The Notwist berühmt geworden und mischen inzwischen bei gut einem Dutzend weiterer Formationen und Projekte mit.

Im Übungskeller von Julius Acher haben die beiden Buben ihren festen Platz. Inzwischen sind Micha und Markus nicht nur physisch gewachsen.

Blick ins Fotoalbum: Die Band feiert ebenso wie Acher (ganz links im Bild), der dieses Jahr 80 Jahre wurde, einen runden Geburtstag: 1988 hatten die New Orleans Dixie Stompers ihren ersten Auftritt in einer Bar in Garmisch.

Begonnen haben alle um Acher (rechts im Bild) als Laienmusiker, heute ist die Band zum Nebenprojekt von Profis geworden.

Seine beiden Söhne (2 v.l. und vorne) sind mit ihrer eigenen Band The Notwist berühmt geworden.

Wer sie nur oberflächlich ein bisschen kennt, weiß, dass die Brüder jeder Art von Selbstbeweihräucherung ziemlich distanziert gegenüberstehen. So verwundert es nicht, dass ihre gesamten Trophäen über dem Esstisch im Elternhaus hängen: Der Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik 2002, eine goldene Plakette aus Italien, der Weilheimer Kulturpreis, der Deutscher Filmpreis 2010. Die Lola für die beste Filmmusik ruht nebenan im Wohnzimmerschrank, und eines der Kinderzimmer hat Barbara Acher zum Archiv umfunktioniert, wo sie die Musik der Söhne und Dokumente ihres Schaffens sammelt.

Auf der anderen Seite des Tisches hängen die Fotos der Familienahnen. Julius Acher hätte eigentlich als Julia auf die Welt kommen sollen: Nach fünf Söhnen hatten seine Eltern eine Tochter ersehnt - der Wunsch sollte dann aber erst beim siebten und letzten Kind erfüllt werden. Der Vater Michael war mit einem Holzbein aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt. Er arbeitete im Peißenberger Bergwerk als Pförtner, obwohl er lieber im Stollen geblieben wäre. Vor allem aber war er leidenschaftlicher Musiker: "Er ließ seine Trompete beim Bergwandern übers Tal schallen und hat alle möglichen Instrumente daheim eingeschleppt", sagt Julius. Für ihn sei leider nur die ungeliebte Geige übrig geblieben. Die Schwester bekam noch das Akkordeon, "dann war a Ruah'", sagt Julius Acher und lacht. Auf jeden Fall muss sein Erzeuger musische Gene in sich getragen haben. Zwar erbten nicht alle Kinder von ihm das absolute Gehör oder außerordentliche Musikalität - aber Julius' vor acht Jahren gestorbener Bruder Anton errang als akademischer Maler des dekorativen Konstruktivismus Anerkennung. Ein anderer Spross wurde Architekt. Julius aber bewunderte vor allem seinen Bruder Hans, der von Zither auf Trompete und von bayrischer Tanzmusik auf Swing umstieg.

Bald nahmen die neuen, vom amerikanischen Radiosender AFN verbreiteten Klänge auch den kleinen Bruder gefangen. Über Louis Armstrong und den Jazz stieß Julius auf Klassik, Mozart und "die wahnsinnige Kraft, die von seiner Musik ausgeht". Dennoch legte er mit 13 Jahren die Geige aus der Hand und schnappte sich den Kontrabass, um in Hans' Combo mitzuspielen. Das reichte ihm aber nicht: "Ich möcht' scho a was blasn", beschwerte sich Julius - und kam so zur Posaune, für die er zwei Jahre lang Unterricht nahm.

Sie ist auch heute noch das Instrument, das er bei den Dixie Stompers spielt. In 30 Jahren sind vier CDs erschienen, nun wurde zum Jubiläum ein Best-of-Album veröffentlicht. Es gibt bei leichtfüßig-spritziger Grundstimmung die große Stilbreite der Band wieder: Längst steht nicht so sehr Dixie wie zeitgemäß aufbereiteter, traditioneller Swing im Mittelpunkt - mit Abstechern in fast alle Richtungen der Unterhaltungsmusik. So steuert etwa Alex Czinke seit einem Vierteljahrhundert lateinamerikanische Rhythmen mit Banjo und Gitarre bei, er gehörte wie Achers Söhne dem Bundesjazzorchester an. Klarinettist und Saxofonist Stefan Schreiber hat am Richard-Strauss-Konservatorium studiert. Er wirkt in vielen Bands mit - auch bei Enders Room und Micha Achers Alien Ensemble. Dessen Fast-Nachbar am Ammersee, Kontrabassist Karsten Gnettner, war mit Hugo Strasser's Hot Five unterwegs und begleitet Die jungen Tenöre. Wegen der vielfältigen Engagements der Stammspieler hat Acher eine lange Reservebank mit fast 25 bewährten Musikern. Am häufigsten muss der Bandleader die Söhne ersetzen: Markus etwa war eben erst drei Wochen in Japan bei seinen Freunden und Kollegen von Spirit Fest und Tenniscoats.

Die Dixie Stompers sind in verschiedenen Besetzungen schon vor ganz großem Publikum aufgetreten: Beim traditionsreichen Dresdner Dixieland-Festival etwa, wo zur Abschlussparade Hunderttausende die Straße säumen. Oder heuer auf der Hauptbühne zum Stadtgründungsfest am Münchener Marienplatz. Begonnen aber hat alles erst, nachdem im Eigenheim im Weilheim Ortsteil Unterhausen der Keller zum Übungsraum ausgebaut war. Zuvor hatte das musikalische Wirken der Acher-Familie vier gekündigte Mietverhältnisse im Umkreis von Weilheim eingebracht: "Zuletzt war das Schlafzimmer vor lauter Isolation ganz eng geworden. Und dann hat sich ausgerechnet diejenige Nachbarin beschwert, die am weitesten entfernt wohnte", sagt Julius Acher.

Damals stand noch klassische bairische Stubnmusi mit den beiden Söhnen als "Rieder-Achers" auf dem Programm. Markus und der drei Jahre jüngere Micha erhielten jeweils mit vier Jahren ersten Musikunterricht. Schon damals erkannte in Schongau Joseph Kraus, Gründer der Konzertreihe "Musik im Pfaffenwinkel" und hoch dekorierter Musikschuldirektor, Markus' Talent: ",Machen's was d'raus', hat er zu uns gesagt", erinnert sich Barbara Acher. Mit 14 aber hatte Markus von Stubnmusi die Nase voll, schmiss den Unterricht hin und stieg von der Klarinette auf die Gitarre um.

"Auf einmal hatte ich fünf Gitarrenschüler", erinnert sich der Vater. Doch den Ansprüchen seines Sohns habe er bald nicht mehr genügen können: ",Papa, sei mir nicht böse, aber ich brauch' einen Lehrer, zu dem ich aufschauen kann', hat er gemeint", sagt Julius Acher und lacht. Als die Geburtsstunde der Dixie Stompers schlug, spielte Micha zwar noch in der Weilheimer Stadtkapelle - hockte aber auch schon mit halbmeterlangen Dreadlocks im Keller des Pfadiheims, um dort erst separat und dann gemeinsam mit Markus und anderen sein eigenes musikalisches Süppchen aus Post-Punk, Rock und Metal zu kochen. Ein Jahr bevor sie The Notwist gründeten, versuchte der Vater, die Söhne für Dixie und Swing zu begeistern - zunächst mit wenig Erfolg. "Ich hab mit Engelszungen auf die Buben eingeredet, dass sie dem Papa zuliebe wenigstens mal bei einer Probe mitmachen", sagt Barbara Acher.

Dann aber wurden sie trotz unterschiedlicher stilistischer Vorlieben feste Ensemblemitglieder - wenngleich Markus bei den Dixie Stompers nicht mehr Klarinette oder Gitarre, sondern Schlagzeug spielen wollte. Die Eltern wiederum fieberten am Radio live mit, als The Notwist 1989 den Demo-Cassetten-Wettbewerb im Zündfunk des Bayerischen Rundfunks gewann. Wenig später erlebten sie zum ersten Mal einen Auftritt der Band.

Ende August waren die Eltern zuletzt bei einem Notwist-Konzert. Zu Julius' 80. Geburtstag bekamen sie Karten für den lange vorher ausverkauften Auftritt beim c/o pop-Festival in der Kölner Philharmonie geschenkt. Das siebenköpfige Ensemble gab vor 2000 Zuhörern sein komplexes und improvisationsfreudiges Krautrock-Electronic-Jazzrock-Programm, das mit den grobschlächtigen Hardcore-Ursprüngen der Band nur noch wenig gemein hat. Aber auch die Dixie Stompers haben die Söhne mitgeprägt: Micha hat auf mehreren Reisen nach New Orleans eine Vorliebe für die dortige Musik und das Sousaphon entwickelt. Und beide finden - vielleicht zur Kompensation für die immer diffizileren, in Richtung E-Musik driftenden eigenen Werke - immer öfter Spaß am scheinbar simplen Musikanten-Dasein. Ob in der Hochzeitskapelle oder bei den Landlergschwistern, ob als Hausband im Dießener Craft-Bräu oder in der irre witzigen Kinderlieder-Kapelle Café Unterzucker: Vor allem Micha hat die Lust am Rumpeljazz und anderen Spielarten unprätentiöser Straßenmusik für sich entdeckt.

Der Vater wiederum hatte diversen Tanzmusikkapellen angehört, bevor er mit 35 bei Horst Blassl und seine Original Königlich Bayerischen Musikanten anfing. Vierzig Jahre lang blieb er dabei, aber so richtig musikalisch ausgefüllt hat es Julius Acher nie. So spielte er parallel in Big Bands, Dixie- und Swing-Combos, bis er das eigene Ensemble aus der Wiege hob. Da konnte er dann auch seine vielen Eigenkompositionen einstudieren, die ihre Genre-Verwandtschaft schon im Titel tragen: "Ammersee Blues", "WM Boogie", "Dixie Rock", "Five-Lake-Country-Song" oder "Warum nicht mal Walzer". Auch den gelegentlichen Gesang übernimmt der Bandleader selbst, wenn nicht etwa die kanadische Jazzvokalistin Nina Michelle am Mikro steht.

Schon fünf Jahre nach der Gründung konnte Acher den Dixie Stompers noch mehr Zeit widmen, denn er wurde früh aus dem eigentlichen Brotberuf als Elektroniktechniker entlassen: Sein Vorruhestand sei mit dem Ende des Kalten Kriegs zusammengefallen, sagt er. Seitdem hält er sich mit Radeln und Bergwandern fit. Noch mit fast 70 ist er an einem Tag durch die Höllentalklamm zur Zugspitze aufgestiegen, jetzt lässt er es etwas langsamer angehen. Und natürlich erfreuen sich Barbara und Julius Acher an ihren Enkeln im Alter von sieben bis 20 Jahren: Jeder der Söhne hat bislang zwei Kinder. Bei der erblichen Vorbelastung darf man schon mal gespannt sein, was noch von ihnen zu hören sein wird.

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Quelle:
SZ vom 01.12.2018
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