Süddeutsche Zeitung

Prozess:Polit-Schwarzfahrer zu 900 Euro Strafe verurteilt

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Der 21-jährige Gilchinger hatte auf einen Freispruch gehofft, weil er seine Vergehen auf einem Schild ankündigt. Er will in Berufung gehen.

Von Christian Deussing, Starnberg

Er fahre nicht schwarz, sondern weise mit seinem Schild darauf hin, "ohne gültige Fahrkarte" zu fahren, betont Manuel Erhardt aus Gilching. Er fordert mit diesen Aktionen den Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr, damit auch Menschen mit weniger Geld "nicht diskriminiert und unnötig kriminalisiert" würden. Doch mit diesen Argumenten konnte sich der 21-Jährige vor dem Jugendgericht Starnberg nicht durchsetzen. Richter Ralf Jehle verurteilte den Angeklagten nach neun Verhandlungstagen wegen "Erschleichens von Leistungen" in 16 Fällen zu einer Geldbuße von 900 Euro, die Erhardt an den Verein "Jugendbildung und Kultur" in Kempten zahlen muss. Der Schaden der Schwarzfahrten betrug nur 91,30 Euro.

Der Gilchinger will sich nicht entmutigen lassen: Er kündigte an, das Urteil anzufechten, um seinen Kampf für kostenlosen Nahverkehr - auch im Sinne des Klimaschutzes - "umso beharrlicher weiterzuführen". Sein Prozess hatte am 12. Februar unter Medienrummel begonnen. Stets wurden in den Sitzungen Kontrolleure als Zeugen befragt, ob sie sich an den Fahrgast in der S-Bahn mit dem Schild "Ich fahre ohne gültige Fahrkarte" erinnern könnten - was nicht immer der Fall war. Doch am neunten Prozesstag - unbemerkt von der Öffentlichkeit - ging es plötzlich schnell: Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hin wurde das Verfahren zu weiteren sieben Schwarzfahrten des Angeklagten eingestellt, und das Finale nahte. Er habe unter Protest die Verhandlung verlassen, berichtete jetzt Erhardt - auch weil der Prozesstermin Ende Juni nicht verschoben worden sei. Denn sein Verteidiger habe wegen eines Prozesses in Aachen nicht am letzten Verhandlungstag in Starnberg teilnehmen können.

Von dem "Protest" habe er nichts bemerkt, sagt Richter Jehle, der angeklagte Mann sei nach einer Unterbrechung verschwunden gewesen. Jehle begründet die Verurteilung auch damit, dass das Chaos programmiert wäre, wenn sich jeder Bürger so wie der Angeklagte verhalten würde und Vorschriften, die er "für diskriminierend oder nicht sachgerecht" halte, nicht befolge.

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Quelle:
SZ vom 16.07.2019
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