Süddeutsche Zeitung

Mode:Anziehungspunkt Tutzing

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Die Designerin Gesine Wessels kleidet Abgeordnete und Prinzessinnen ein. Seit 2007 hat sie auch ein Atelier in der Seegemeinde, zu ihren 250 Stammkundinnen gehört die stets rot gewandete CDU-Politikerin Marie-Luise Dött.

Von Manuela Warkocz, Tutzing

Sie zieht Politikerinnen im Bundestag an, Prinzessinen wie An zu Wittgenstein, Moderatorinnen wie Ulla Kock am Brink und die rothaarige Braut, die sich statt in Weiß im kupferfarbenen Traumkleid vor den Altar traut. Die Botschaftergattin wünscht für die Homestory in der Bunten im barocken Palais was farblich Passendes? Gesine Wessels schneidert ihr ein Jacquard-Ensemble mit viel Gold auf den Leib. Einige ihrer gut 250 Stammkundinnen kleidet sie schon seit der Eröffnung ihres ersten Ateliers 1995 in Berlin ein. Andere gewann sie in Tutzing - mit raffinierten Blusen, Blazern, Kleidern, die einen als Lieblingsstücke lang begleiten können.

Denn viele sind wandelbar. Das großblumige Sommerkleid lässt sich heute mit Trägern ausführen, gefällt man sich so nicht mehr, können einfach Ärmel appliziert werden. In den Nähten ist immer so viel Stoffzugabe, dass ein paar Pfunde mehr drin sind. Was ein Etuikleid - "Das klassische Freud-und-Leid-Kleid", wie Wessels sagt - gleich viel anziehender macht. Mit Bändern, Schleifen, Plisseeborten und augenfälligen Knöpfen aus ihrer mindestens 5000 Exemplare umfassenden Sammlung zaubert Wessels Hingucker an klassischen Teilen. Je nach Frauentyp mal eher verspielt, mal zurückhaltend oder in knalligen Farben. Für die CDU-Bundestagsabgeordnete Marie-Luise Dött fertigt sie seit 20 Jahren Kollektionen ausschließlich in deren ganz persönlichem Rot an. Zwei Regalfächer umfasst allein ihr Stoffvorrat für diese Kundin in den Tutzinger Räumen.

Die darf man keinesfalls Boutique nennen, und sie selbst nicht Schneiderin. "Ich bin Designerin und habe ein Atelier, das Wünsche erfüllt", definiert Gesine Wessels ihren Werdegang, unter anderem mit dem Studium Textildesign an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee. Die 7000-Euro-Chanel-Jacke billig nachnähen - so was macht sie nicht. Etwas Eigenes im ChanelLook, das schon. Bei ihr gebe es nur Unikate, sagt die 61-jährige Geschäftsfrau. Ihr gehe es darum, mit einer Kundin herauszufinden, was deren Typ hervorhebt und worin sie sich wohlfühlt. Eine Bluse mit seitlicher Raffung - der Verkaufshit für 219 Euro - kann dann mit Schalkragen oder Ärmeln oder Stehbund für die jeweilige Frau passen, sowohl zur Jeans im Büro als auch mit einem Tellerrock zur Party. Losgelegt hat Wessels mit Businessfrauen in Berlin. "Die wollten nicht immer nur in Blau und Grau gehen. Also warum nicht mal Violett", so der Ansatz. Sie baut Kontakte zu erstklassigen Couture-Stofflieferanten und Webereien auf, zu Seidendruckern um den Comer See und französischen Spitzenmachern aus Lyon und Calais. Bis heute die Grundlage ihrer Arbeit, "kein chinesischer Billigkram". Dazu abwandelbare Grundschnitte, perfekte Verarbeitung und auch praktikable Handhabe. "Ein Sommerkleid wollen Sie ja gern mal über Nacht waschen und am nächsten Tag ohne zwei Stunden Bügeln wieder anziehen."

Was heute als Trend gilt - "Slow fashion" und die Frage nach der Herkunft - sieht Wessels von Anfang an als Grundeinstellung zu ihrem Beruf und zum Umgang mit Ressourcen. Sie verwendet etwa Wollwatteline für das Polstern von Schulternähten, kein synthetisches Material. Ihre Adresse in Wilmersdorf, später näher am Kudamm, spricht sich herum. Zeitweise beschäftigt sie fünf Mitarbeiterinnen.

In Tutzing, wohin Gesine Wessels 2007 ihrem Mann gefolgt ist, eröffnet sie zunächst auf dem ehemaligen Roche-Gelände ihr "Couture Atelier Berlin - Starnberger See", zieht 2014 in die Greinwaldstraße. Regelmäßig pendelt sie zu ihren Stammkundinnen nach Berlin. Sie entwirft Seidenschals, Taschen und Schuhe passend zu Kollektionen. Sogar ein eigenes Parfum gibt sie in Auftrag. Den blumig-orientalischen Duft entwickelt die Hamburger Parfümeurin Kim Weisswange, die auch für Mitglieder der englischen Königsfamilie persönliche Parfums kreiert hat.

Gut beschäftigt ist Wessels mit aufwendigen Hochzeitskleidern. Für eine Braut säumt sie einen fünf Meter langen Schleier rundherum mit 15 Meter Spitzenband. Für eine andere fertigt sie nicht nur das Kleid für die Kirche, sondern gleich noch eins für den Empfang hinterher und ein drittes für die Party. Eine junge Italienerin kostet die Modemacherin schlaflose Nächte. Denn die reist zur Kleiderauswahl mit 17 Freundinnen an. Jede hat eine andere Präferenz. "Die Braut entschied erst am Donnerstag, was sie am Samstag anziehen wollte": einen klassischen weißen Traum mit Spitze.

Sechs Brautkleider entwirft Gesine Wessels normalerweise im Jahr. Kein einziges aber seit Coronabeginn. Alle Hochzeiten abgesagt. Andere Feste ebenso. Umsatzeinbruch um die Hälfte. Keine Feier zum 25-jährigen Bestehen des Ateliers. Dafür hat die Designerin vergangenen Sommer gut 1000 Masken aus Stoffvorräten genäht und verschenkt. Jede Kundin erhielt bei einer Bestellung eine passende Maske zu ihrem Outfit, uni oder blumig-bunt.

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SZ vom 11.05.2021
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