Süddeutsche Zeitung

Lyrik:Ritterschlag für den Dichter

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Anton G. Leitner aus Weßling hat sich zuletzt an bairischer Verskunst versucht. Nun ist eine Auswahl seiner Werke auf Englisch erschienen. Und eine französische Ausgabe soll folgen

Von Gerhard Summer, Weßling

Die Bücherlaus spielt bislang noch keine Rolle im Werk des Dichters Anton G. Leitner, aber leider in seiner Bibliothek in Weßling.

In den grob geschätzt 10 000 Büchern haben sich die gar nicht so possierlichen Tierchen eingenistet, vielleicht hat der Befall mit einem Wasserschaden im Souterrain zu tun, vielleicht brachte Leitner die kleinen Insekten mit einem antiquarischen Werk ins Haus, wer weiß. Jedenfalls bekämpft der Schriftsteller, Verleger und Erfinder des Wettbewerbs Lyrik-Stier die Bücherlaus mit spezieller Paste, Wärme und Kälte. Und wenn er jemals ein Gedicht über ihr verhängnisvolles Wirken verfassen sollte, über ihren Hunger auf Papier und Eiweiß, dann wäre es vorstellbar, dass dieses Poem über die mutmaßlich leseunwillige Laus irgendwann auch auf Englisch erscheint. Und auf Französisch.

Der zuletzt bairischsprachige Dichter Anton G. Leitner ist nämlich gerade dabei, fremde Lyrikwelten zu erobern. Eine Auswahl seiner Arbeiten aus 34 Jahren ist von drei Übersetzern ins Englische übertragen worden. Die Kompilation kam im November 2018 unter dem Titel "Selected Poems" heraus. Heuer oder im nächsten Jahr soll der nächste Streich folgen: Der große französische Verlag "L' Harmattan" will einen Band mit 25 Leitner-Poemen auf den Markt bringen, in diesem Fall zweisprachig. Für die Übersetzung zeichnet Joël Vincent verantwortlich, der schon Lyrik von Robert Gernhardt ins Französische übertragen hat. Für den Weßlinger Dichter bedeutet das erstens einen Ritterschlag, denn ihm zufolge gibt es außer Hans Magnus Enzensberger, Jan Wagner und eben Gernhardt nicht allzu viele zeitgenössische deutsche Lyriker, denen diese Ehre zuteil geworden ist. Und zweitens ist das in Zeiten, da Gedichtbände wie Blei auf den Tischen der deutschen Buchhandlungen liegen, fast schon Gold wert. Zumal es in Großbritannien zu einem Lyrik-Boom gekommen sei, wie Leitner sagt, vielleicht auch wegen des Brexit, der zu einem Rückzug ins Private führe.

Als Beispiel nennt er die in Toronto lebende Autorin Rupi Kaur, die zum Lyrikstar geworden ist. Laut FAZ erzielte ihr erstes Buch "Milk and Honey" 2018 in Großbritannien die höchste Auflage unter den Lyrikbänden. Weltweit verkaufte sich "Milk and Honey" 2,5 Millionen Mal. Nur zum Vergleich: Von seinem bairischen Verskabarett "Schnablgwax", das 2016 auf den Markt kam, brachte Leitner gerade mal die Auflage von 1000 Stück an den Mann und an die Frau. Trotzdem sei die Gedichtsammlung hierzulande fast schon ein Bestseller gewesen.

Leitners Resümee: "Die Lyrik hat in Deutschland derzeit einen sehr schweren Stand." Vielleicht hänge das auch mit der Literaturförderung zusammen, die "oft Sperriges und Abgehobenes" favorisiere. Die englischen Autoren hingegen bevorzugten die "Real-Poesie", wie es Leitner nennt, sie seien also näher am Leben dran, das "politische, erotische, witzige und soziale Element ist größer".

In den "Selected Poems" finden sich 52 Gedichte aus den Jahren 1981 bis 2015, darunter auch zwei Stücke aus dem "Gschnablgwax". Der russisch-irische Verleger Anatoly Kudryavitsky konnte auf eine Menge Material zurückgreifen, denn der vormalige Oxford-Germanist Richard Dove, der bis vor kurzem das Department für Englisch am Fremdspracheninstitut der Landeshauptstadt München leitete, hatte mit seinen Dozenten bereits an die 100 Leitner-Werke übersetzt. Dazu kamen Übertragungen durch den Amerikaner Paul-Henri Campbell. Leitner hatte ihn um die Jahrtausendwende auf einer Konferenz für die Herausgeber von Lyrikzeitschriften in Rotterdam kennengelernt. Campbell legte auch schon Auszüge aus Leitners Jahresschriften "Das Gedicht" in sogenannten Chapbooks vor.

Ein Werk und drei Übersetzer - kann das gutgehen? Nicht ganz, zwischen Dove und Kudryavitsky kam es zum Streit, wie Leitner sagt. Weil der Verleger offenbar mit Dialekten wenig anfangen kann, verwarf er ein paar Dove-Übertragungen, die Cockney, Mockney und auch schottische Varianten ins Spiel brachten, und ging selber ans Werk.

Wie das überhaupt klingt, wenn ein original Leitner vom Bairischen ins Englische übertragen wird? Nur ein Beispiel: In "Imma wenna Fuassboi schaugd" heißt es: "Brauchda need schwoassln,/Dann langd eam sei bessare/Haifdn, de hellare Blonde,/De Hoibe. . .". Auf gut Deutsch: Der Fußballzuschauer muss nicht schwitzen, ihm reicht seine bessere Hälfte, die Halbe. Kudryavitsky kann den Wortwitz nicht so ganz einfangen, er machte daraus: "There's no need for him to sweat; / His better half(pint), a translucent/ Blonde, will still appear/in front of him."

Anton G. Leitner, "Selected Poems", SurVision Books, 2018, 12,99 Euro. Der Gedichtband kann über die Homepage des Leitnerverlags bestellt werden (www.aglv.com).

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SZ vom 31.01.2019
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