Süddeutsche Zeitung

Kostbare Pflanzenbücher:Historischer Schatzfund in Andechs

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Mitarbeitende des örtlichen Heimatvereins entdecken auf einem Dachboden des Andechser Klosters Hunderte Jahre alte Herbarien. Die Pflanzenbücher haben nun ein neues Zuhause.

Von Madeleine Rieger, Andechs

Eigentlich wollten Mitarbeitende des Heimatvereins Erling-Andechs nur den Dachboden der Alten Schule im Kloster Andechs entrümpeln. Als sie dabei eine Kiste mit zwei alten Büchern entdeckten, war ihnen aber schnell klar, dass ihnen etwas Besonderes in die Hände gefallen sein musste.

Welchen Schatz sie gefunden hatten, ließ sich schnell mithilfe der Beschriftungen herausfinden, mit denen die Werke versehen waren. Es handelte sich um Herbarien, also Sammlungen von getrockneten Pflanzen, aus den Jahren 1742 und 1878. Das ältere der beiden Fundstücke ist somit eines der ältesten Herbarien, wenn nicht sogar das älteste, in ganz Bayern. Selbst deutschlandweit weisen nur wenige Exemplare ein noch früheres Entstehungsjahr auf, wie beispielsweise das Ratzenberger Herbarium im Kasseler Ottoneum. Es wurde zwischen 1556 und 1592 gefertigt und gilt als das älteste in Deutschland existierende Pflanzenbuch.

Das jüngere der beiden historischen Herbarien beinhaltet etwa hundert in Zeitungen konservierte Pflanzen aus dem Andechser Umland. Sein Etikett weist es als Werk des "P. Ambrosius Böck" aus und gibt als Entstehungszeitraum den Sommer 1878 an. Das zweite wiederum ist ein gebundenes Buch mit dem lateinischen Titel: "Sylvester de Boricanis ex Castro franco. Anno D' 1742 Padua Mense Maij". Es nennt neben dem Namen des Pflanzensammlers auch noch den Mai des Jahres 1742.

"Es ist unwahrscheinlich, dass mit Mai 1742 das Sammeldatum der Pflanzen gemeint ist", vermutet hingegen Andreas Fleischmann von der Botanischen Staatssammlung München. Denn unter den gepressten Pflanzen finden sich viele, die gar nicht im Mai blühen. "Es ist wahrscheinlicher, dass die einzelnen Pflanzen über eine längere Zeit gesammelt und gepresst wurden, und erst das Gesamtwerk im Mai 1742 in Padua fertiggestellt wurde", sagt der Botaniker.

Die fast 400 getrockneten Blumen des ältesten bayerischen Herbariums sind jeweils mit ihrem fachwissenschaftlichen Namen etikettiert und manchmal noch mit zusätzlichen Informationen in lateinischer Sprache versehen. So lässt sich erschließen, dass der Großteil der Pflanzen aus dem Mittelmeerraum stammt. Es wird aber vermutet, dass ein paar der Heilpflanzen direkt im Andechser Klostergarten gepflückt wurden. Die Pflanzen sind nach ihrer Verwandtschaft sortiert und die beigefügten Texte enthalten oft auch Erklärungen zu Zweck und Nutzen des Gewächses. Damit ist das Herbar aus Andechs nicht nur eine historische, sondern auch eine wissenschaftliche Kostbarkeit.

In der Botanischen Staatssammlung München haben die "Andechser Herbarien" - wie Wissenschaftler sie getauft haben - jetzt ein neues Zuhause gefunden. Sie wurden Ende Juli feierlich an Gudrun Kadereit überreicht, die Direktorin der Botanischen Staatssammlung München und des Botanischen Gartens München-Nymphenburg. Eigentlich hätte das schon viel eher passieren sollen, doch dann kam die Corona-Pandemie dazwischen. Außerdem habe geklärt werden müssen, welche Einrichtung für die kostbaren Relikte zuständig ist, so Fleischmann.

Nun werden sie zwischen mehr als 3,2 Millionen sogenannter "Herbarbelegen" in München aufbewahrt. Sie reihen sich in eine historische Sammlung ein, mit der schon König Max I. Joseph begonnen hatte. Der bayerische Herrscher hatte die Institution zusammen mit der Bayerischen Akademie der Wissenschaften als "Königliches Münchner Herbar" 1813 gegründet. Vom Dachboden des Andechser Klosters in eine der größten Forschungssammlungen der Welt: Die Andechser Herbarien haben eine lange Reise hinter sich.

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