Süddeutsche Zeitung

Kabarett:Bekenntnisse eines Grattlers

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Von Gerhard Summer, Seefeld

Früher war alles besser, jedenfalls vieles, vielleicht sogar der Gerhard Polt? Zumindest hatten die Kinder damals noch richtige schöne Vornamen wie Horst oder Hermann. Aber heute? Der Sohn seiner Tochter Jacqueline, der Bubi, heißt Geofei, sagt der Opa, womöglich meint er auch Geoffrey. Früher gab es auch noch so was wie Anstand, der Günther Prien zum Beispiel, der U-Boot-Kommandant, hat "noch im Untergang gegrüßt". Jawohl! Heutzutage "grüßt dich keiner mehr im Lift". Und der Nachbar, der schneuzt sich auf eine Art und Weise im Garten, dass man nur sagen kann: "So schneuzt man sich nicht in Mitteleuropa!"

Womöglich gilt auch: Es gab Zeiten, da war dieser Gerhard Polt, der in den Siebziger- und Achtzigerjahren das bitterböse und sehr politische Kabarett neu definierte, so etwa wie ein bühnentaugliches Naturereignis. Ein Mann wie ein Donnerschlag. Einer, der den ganzen Saal zum Brüllen bringen konnte, wenn er nur ans Mikro trat. Auch heute steht der 74-Jährige noch kerzengerade auf der Bühne des vollbesetzten Pfarrhauses Peter und Paul in Seefeld, gekleidet in Sakko, Pulli und Cordhose in Grau- und Brauntönen, die so gar nicht zueinander passen.

Aber der Donner ist zuweilen nur noch von ferne zu hören, vor allem wenn Polt kurze, schmucklose Texte vorliest, die sich wie Lebenserinnerungen oder launige Lausbubengeschichten in der Tradition von Ludwig Thoma oder Oskar Maria Graf anhören. Die Ratzenjagd in der Metzgerei. Der Streich, den die Burschen den Stockschützen spielen. Die letzte Forelle, die der Kunstmaler zu sich nimmt: Ja, das ist alles hübsch, aber auch sehr harmlos, fad und lahmarschig, wenn man so sagen darf. Weshalb Polt mit seinem Programm "Braucht's des?" einen gemischten Eindruck hinterlässt. Solche flauen Geschichten hätte er sich früher womöglich nicht erlaubt.

Seine üblichen Figuren: Der Absahner, der Amigo, der Schlawiner

Auf der anderen Seite ist von Altersmilde wieder rein gar nichts zu spüren. Polt lässt bei seinem Solo nämlich auch all die üblen Figuren aufmarschieren, die seit Jahrzehnten zu seinem Stammpersonal gehören. Den Absahner, Amigo und Schlawiner, der Geschäfte auf Kosten anderer macht und sich auch noch für sozial hält. Den fürchterlichen Spießer, der mit einer Drohne nachkontrolliert, ob sich der Nachbar an die Grillordnung hält. Den Obergrattler, der sich von Grattlern umgeben wähnt.

Den Ewiggestrigen, der dem Bubi blöderweise sein Menschenbild nahebringen will und seine Ansichten ("früher gab's keine Demokratie, die ham's auch nicht gebraucht"). Oder die Frau, die sich wie in "D'Anni hat g'sagt" über Mütter und Kinder verbreitet ("sie fahrt ihn im Suff in d'Schui, i moan im Geländewagen"). Das sind genau die Typen, die sich um Kopf und Kragen reden, je länger sie sprechen, sofern von Kopf noch die Rede sein kann. Die sich so lange selbst in die Tasche lügen, bis die Tasche am Boden schleift.

Polt lässt sie mit Fistelstimme oder in wehleidigem Ton schwadronieren, er lacht fies und gackernd, und die Sprache, die diese Menschen sprechen, ist fast so brutal, wie sie selbst sind. Da ist dann ein Urlaub zum "Speim", Pädagogen sind "Lehrermaterial". Und der Mensch an sich? Klar, ein "Zwischenwirt".

Zwei Wahnsinns-Nummern hat Gerhard Polt an diesem dann doch absurd komischen Abend dabei: die wunderbare Predigt des indischen Pfarrers, der sich in englischem Singsang über die leeren katholischen Kirchen echauffiert und darüber, dass die Bayern den Biergarten fürs Paradies halten. Und natürlich die grotesken Bekenntnisse des Miesbacher Ex-Landrats Norbert Kerkel, der erstaunlich viel von sich selber hält ("ich ziehe meinen Hut vor mir und sage: Ich lebe hoch"). Donnernder Applaus für Polt.

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Quelle:
SZ vom 16.01.2017
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