Süddeutsche Zeitung

"Justizpalast"-Autorin Petra Morsbach:Bestseller aus Starnberg

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Für ihren Roman "Justizpalast" hat die Starnbergerin Petra Morsbach neun Jahre recherchiert. Ihr Pensum beim Schreiben beträgt zwei Seiten pro Tag. Zwischendurch nimmt sie Pakete für die Nachbarschaft an.

Von Gerhard Summer, Starnberg

Fotos? Nein, bitte nicht, sagt Petra Morsbach und lacht, es wäre besser, die Fotografin wieder abzubestellen. Sie kann es nicht leiden, wenn ein Objektiv auf sie gerichtet wird, das habe wohl damit zu tun, dass sie weder Selbstdarstellerin sei noch Schauspielerin: "Unmöglich, komplette Unbegabung." Sie würde sich im Übrigen auch nicht freuen, wenn sie jemand auf der Straße erkennt. Wahrscheinlich wäre das für sie sogar ein Albtraum. Ein Spaziergang durch Starnberg - und ein Passant ruft ihr zu: Hallo, Frau Morsbach, ich hab' da eine juristische Frage, Sie haben doch "Justizpalast" geschrieben, nicht wahr? Oder schlimmer noch: Wann kommt Ihr nächstes Buch heraus?

Petra Morsbach, 62, ist nämlich eine Langstreckenschreiberin, und zu welchem Zeitpunkt ihr nächster Essay oder ihr übernächster Roman erscheinen wird, kann sie "nie sagen". Wenn Literatur etwas mit Sport zu tun hätte, wäre sie Marathonläuferin. Die Idee zu ihrem vierten Roman "Gottesdiener" hatte sie als 15-Jährige, doch sie fing mit dem Buch erst an, als sie 44 war. Mit Anfang 20 dachte sie sich, man müsste mal einen Roman über eine Richterin schreiben, über Rechtsempfinden, Gerechtigkeit und die Justiz mit ihrer absurden Sprache, dieses Konstrukt aus "Anspruch und Verblendung, Moral und Missbrauch, Redlichkeit und Routine, Zwanghaftigkeit und Zynismus", wie sie zwei Jahrzehnte später formulierte.

Neun Jahre recherchierte die Starnbergerin und besuchte immer wieder Verhandlungen im Münchner Landgericht, grob geschätzt 100 an der Zahl. Sie durfte am Richtertisch sitzen, damit sie den Einlassungen besser folgen konnte. Morsbach hört nämlich sehr schlecht. Sie war bei Mediationen dabei und ließ sich von einem befreundeten Richterehepaar beraten, von Gisela und Gerhard Schrötter. Parallel machte sie sich an erste Entwürfe. Elf Jahre zog sich die Arbeit hin, und als 2017 der 480-seitige "Justizpalast" auf den Markt kam, überschlugen sich die Kritiker vor Lob. Morsbach erhielt am 5. November 2017 den hochdotierten Wilhelm-Raabe-Literaturpreis. Eine Auszeichnung der Stadt Braunschweig mit langer Geschichte, die vor der Neukonzeption des Preises an Max Frisch, Hermann Hesse und Uwe Johnson gegangen war.

Die Schriftstellerin hat sich ein Schreibpensum am PC gesetzt: "Zwei Seiten pro Tag, die muss ich schaffen." Manchmal schiebt sie die Arbeit vor sich her, "dann kommen Ersatzhandlungen wie Bügeln und Staubsaugen, oft geht es erst um 23 Uhr los, eine Qual, weil ich den ganzen Tag unter Spannung stehe". Sie sei mithin eine langsame Schreiberin. Hans Fallada, "Paradebeispiel für zwanghaftes Schreiben", habe Romane in vier Wochen aufs Papier gebracht. Bei ihr brauchen Bücher schon deshalb ihre Zeit, weil sie die große Konstruktion wählt, die Balance braucht. "Ich muss eine lange Strecke überblicken", sagt Morsbach, "ich brauche Haltung dazu." Literatur sei wie ein "aufrichtiges Gespräch zwischen zwei Personen - substantiell und aufrichtig, das ist wichtig".

Bei "Justizpalast" war der Start schwierig: "Ich habe angefangen, aber es kam keine lebendige Sprache, die muss ja beseelt sein." Morsbach sagt: "Schlechte Texte zu schreiben, ist nicht nur nichts, es ist auch belastend und toxisch." Als sie die Passagen später hervorholte, "sah ich, wo der Fehler war". Ist das vielleicht so ähnlich wie beim Schach? Der Profispieler notiert sich die Partie, um später "die Stellen zu finden, wo es gekippt ist". Klar, so wird es sein, aber Morsbach wäre es lieber, wenn nicht erwähnt würde, wie gut sie sich mit Schach schon als Kind auskannte.

Nein, die großgewachsene Frau mit Kurzhaarschnitt ist keine schwierige Gesprächspartnerin. Sie lenkt nur gerne, immerhin war sie Theaterwissenschaftlerin Dramaturgin und Regisseurin, bevor sie ihren ersten Roman schrieb. Das Musiktheater war ihr Fach, ihr Lieblingskomponist ist nach wie vor Mussorgski, "ein Titan". Sie lacht oft an diesem Vormittag, es ist ein sehr sympathisches Lachen, auch wenn es nicht immer zu dem passt, was sie sagt.

Sie zeigt sogar kurz ihr Arbeitszimmer, ihr "Büro", das wunderbar unspektakulär aussieht. Einmal klingelt es an der Tür, Morsbach öffnet, kommt und sagt: "Ich bin die Postannahmestelle", ihre Wohnung liege nun mal im Erdgeschoss des Mehrparteienhauses. Sie erzählt von einer Frau, die sie in einer E-Mail tatsächlich juristisch um Rat gefragt hat. Ganz so, als müsse die Autorin von "Justizpalast" mindestens Anwältin sein. Und sie zeigt ein handbeschriebenes Papier, das sie vor ein paar Tagen im Schnee gefunden hat. Der Bericht eines Unbekannten liest sich fast so, als wäre er für einen Therapeuten gedacht. "Die Literatur liegt auf der Straße", sagt sie dazu. "Das Leben bietet unglaublich viel Stoff, manchmal herzzerreißend oder komisch - aus diesem Fundus schöpfe ich meine Bücher."

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SZ vom 02.01.2019
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