Süddeutsche Zeitung

Energiewende:Heizen und abwarten

Lesezeit: 4 Min.

Egal, wie es letztlich aussehen wird: Das Gebäudeenergiegesetz verunsichert sowohl Verbraucher als auch die, die es umsetzen und kontrollieren sollen.

Von Carolin Fries, Starnberg

So schlimm wie in den vergangenen Wochen war es noch nie, sagt Sylvia Baumgartner. Jeden Tag rufen die Leute bei der Kaminkehrermeisterin in Feldafing an, alle stellen sie die gleiche Frage: Was soll ich jetzt mit meiner Heizung machen? Seit die Bunderegierung ein neues Heizungsgesetz diskutiert, das im kommenden Jahr in Kraft treten soll, ist die Verunsicherung groß. "Sowas hab' ich noch nie erlebt", sagt Baumgartner. "Die Leute sind teilweise so verängstigt, dass sie aggressiv werden."

Seit 27 Jahren kehrt sie die knapp 2500 Kamine der Haushalte in der Gemeinde am Starnberger See, seit 13 Jahren ist sie dort als bevollmächtige Bezirksschornsteinfegerin verantwortlich, dass beim Heizen alles mit rechten Dingen zugeht und die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Sie ist es gewohnt, dass sich die Technologien schnell entwickeln, gerade in ihrer Branche. Und dass es somit ständig neue Auflagen und Gesetze gibt. Baumgartner tauscht also alte Kachelöfen aus, kontrolliert Abgasleitungen und Lüftungsanlagen, kehrt Kamine und nimmt Heizungsanlagen ab.

Doch nun ist sie ratlos. "90 Prozent sind Gasheizungen, zehn Prozent Öl." Und jeder zweite Haushalt habe noch einen zusätzlichen Holzofen. "Das lässt sich nicht mal eben so ändern." Und wieso auch, wenn denn die Heizungen gut funktionierten? Sie selbst habe daheim eine Ölheizung, "die läuft einwandfrei". Außerdem zwei Holzöfen. "Ich sehe keinen Bedarf, etwas zu ändern", sagt sie. Und das sagt sie auch den Leuten am Telefon: Abwarten!

Schließlich wird an dem Gesetz noch geschraubt. An der Grundidee indes hat sich nichts geändert: Von Januar an sollen neue Heizungen zu 65 Prozent mit erneuerbarer Energie betrieben werden. In neue Häuser können also Wärmepumpen eingebaut werden, die sich an Fernwärmenetze anschließen lassen oder mit Wasserstoff betrieben werden können- sollte beides auf absehbare Zeit auch in der Fläche verfügbar sein. Und wenn alte Heizungen irreparabel kaputt gehen, müssen diese nach einer Übergangszeit durch eine saubere Anlage ersetzt werden. Viele andere der anfänglich noch diskutierten Vorgaben sind inzwischen weggefallen. So muss niemand eine Gasheizung austauschen, weil sie eine Altersgrenze erreicht hat. Auch können sich viele Haushalte auf Härtefallklauseln berufen, wenn Kosten und Nutzen in keinem Verhältnis stehen. Und schließlich soll es einfacher werden, einen alten Heizkessel mit einer Wärmepumpe zu kombinieren.

Dennoch übt Baumgartner grundsätzliche Kritik. Vor allem stört sie der Ansatz, den Leuten neue Technik zu verordnen, anstatt deren Verbrauch zu reduzieren. "Eine neue Heizung hilft der Umwelt nicht, wenn ich dadurch nichts an Energie einspare." Ganz im Gegenteil: Es werde unnötig Müll produziert, wenn funktionierende Geräte ausgemustert werden. Die Kaminkehrerin fordert: "An den Häusern müssen wir was machen!" Und auch Bernd Krüger, Ingenieur für Versorgungstechnik, ist der Überzeugung, dass der Weg zur Energiewende über die Sanierung von Dächern, Fenstern und Fassaden geschieht. In vielen Fälle lasse sich der Wärmebedarf technisch halbieren. "Hier müssen wir ansetzen, die Technik im Keller spart nichts."

Ihn ärgert, dass die Politik so tue, als wäre das Umrüsten der Heizung vergleichbar mit einem neuen Wandanstrich. "Technisch ist das gar nicht umsetzbar, weil die Hardware fehlt", sagt Krüger. Die Stromnetze seien nicht so leistungsstark, um in jedem zweiten Haus eine Wärmepumpe bedienen zu können. "Wir kriegen seit 30 Jahren keine Internetkabel in die Straßen, wie soll das mit dem Strom klappen?" Zudem würde für viele Geräte das benötigte Kältemittel verboten. Unabhängig davon sei der Markt leergefegt. "Die Lieferzeiten sind enorm lang."

Egal, welche Heizungsanlage oder auch Ersatzteile er momentan bestelle, sechs Monate müsse man sich fast immer gedulden. "Es fehlt das Material. Und es fehlt das Personal". Wie viele Heizungsfirmen gibt es denn noch - und wie viele Azubis? Der 57-Jährige führt das Familienunternehmen seit zwei Jahren zusammen mit Sohn Laurenz. 45 Mitarbeiter sind im Kundendienst, Fachmarkt, bei Neubauten oder Badsanierungen im Einsatz. Etwa 4000 Heizungsanlagen wartet die Firma jedes Jahr, die meisten in Starnberg und Umgebung.

Ja klar, sagt Krüger, bei Neubauten sei die Sache relativ einfach. "Da ist eine Wärmepumpe sicher das beste Gerät." Vor allem bei Einfamilienhäusern. Wer ein Reihenhaus bezieht, müsse die Geräte womöglich innen aufstellen, um den geforderten Abstand zum Nachbarn einzuhalten. Krüger empfiehlt ergänzend eine Photovoltaikanlage und im Idealfall auch Solarthermie. Es sei jedoch ein Irrglaube, sich so autark und unabhängig vom Strompreis versorgen zu können. "Denn wenn im Winter der Strom für die Wärmepumpe benötigt wird, scheint die Sonne nicht".

Krüger kennt Menschen, die sich in den vergangenen Monaten noch eine Gas- oder Ölheizung einbauen haben lassen - vor lauter Sorge, in den kommenden Jahren keine mehr zu bekommen. Viel mehr Menschen aber sind verunsichert und ratlos: Wie soll das gehen in einem Wohnhaus aus den 70er-Jahren mit sechs Parteien und einer neuen Heizungsanlage für mehrere zehntausend Euro, wenn nicht alle Geld zurückgelegt haben? Und wie sollen große Firmen, das produzierende Gewerbe, Altenheime und Krankenhäuser handeln? Krüger sagt: "Die Forderungen der Regierung sind auf Jahrzehnte nicht umsetzbar." Sylvia Baumgartner wünscht sich, der Staat würde mit den eigenen Gebäuden vormachen, wie das gehen soll.

Ob Sylvia Baumgartner in zehn Jahren noch Kamine kehrt? "Mit Wärmepumpen hatte ich bis dato jedenfalls nix zu tun", sagt sie und lacht. Und ob Bernd Krüger noch funktionierende, wenn auch alte Heizkessel reparieren darf? "Ich bin gespannt, wie das ausgeht", sagt er. Bis Ende des Monats will sich die Koalition geeinigt haben, Anfang Juli könnte der Bundestag das Gesetz dann noch rechtzeitig vor der Sommerpause beschließen. Was Krüger seinen Kunden rät? "Wir beraten wie immer", sagt er. Grundlage dafür sei vor allem, was sich die Kunden leisten wollten und könnten.

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