Süddeutsche Zeitung

Ausstellung im Taubenturm:Vorsicht, zerbrechlich!

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Das Kollektiv Glassjam beweist in Dießen, wie vielseitig, filigran und facettenreich Glaskunst sein kann.

Von Armin Greune, Dießen

Es waren einmal neun junge Kunstschaffende aus fünf Nationen, die trafen zu Zeiten der Pandemie im tiefsten Bayerischen Wald aufeinander. In der Sommerakademie von "Bild-Werk" befassten sie sich mit dem Material, das Spiegelau einst bescheidenen Wohlstand bescherte: Glas. Die sieben Künstlerinnen und zwei Künstler beschlossen, in Kontakt zu bleiben und dabei flexibel auf die Arbeit der anderen einzugehen - ähnlich wie improvisierende Jazzer bei einer Jam-Session. So wurde 2020 das Kollektiv Glassjam geboren, das nun im Dießener Taubenturm seinen zweiten gemeinsamen Auftritt hat.

Es sind nicht viele, aber sehr reizvolle Exponate, die in den drei Geschossen des fast 400 Jahre alten Gemäuers zu sehen sind. Markus Marschmann etwa hat Gefäße mit reichhaltigem Innenleben geschaffen, dessen symmetrische Strukturen eine geheimnisvolle Funktion wie bei Gerätschaften aus einem Forschungslabor suggerieren. Der 30-Jährige hat drei Ausbildungen als Glasapparatebauer, Kunstglasbläser und Glasmacher hinter sich und einige Workshops mit Künstlern bei Bild-Werk geleitet. Von Marschmann stammt auch eine Figurine unter einer winzigen Vitrine: Der "Glaspapst" ist in einer Mauernische im Treppenhaus zu finden.

Aber nicht immer ist ausschließlich Glas das verwendete Material: So schafft die Münchner Produktdesignerin Lotte Schlör auch Keramikarbeiten wie ihre aus zwei Ringen bestehende Skulptur "Connect". Ihr thematischer Schwerpunkt läge auf Prozesstechniken und Gestaltungsexperimenten zwischen Kunst und Handwerk, erklärt die gelernte Porzellanmalerin selbst. Eri Hayashi hat in Kyoto und Halle Kunst studiert und produziert zum Thema "Utopie" auch analytische Druckgrafiken wie ihren "Blaudruck".

Ähnlich vielseitig präsentiert sich Masami Hirohata, zu deren künstlerischen Mitteln auch Performance, Installation und Fotografie gehören. Sie ist in der japanischen Stadt Hyogo aufgewachsen, lebt aber seit 2016 in Bayern; zuvor hatte sie die Glasfachschule Rheinbach besucht und in Koblenz Freie Glasgestaltung studiert. Von ihr sind in Dießen wunderbar filigrane und poetische Stillleben ausgestellt: Vasen mit gläsernen Blumen, die schon einzelne Blütenblätter verloren haben. Zu ihrem Konzept gehörten eben auch diese Bruchstücke, um "den Blick für Vergänglichkeit zu schärfen, denn das ist eine Eigenschaft, die unsere Emotionen erreichen kann", sagt Hirohata. Der Begriff Stillleben beinhaltet für sie auch ein leises, beständiges Sterben; zu jedem dreidimensionalen Original fertigt sie fünf Fotoeditionen an.

Zu Treibholz, Moos und Schneckenhäusern gesellt sich gläsernes Laub

Von Heidi Breit ist im Taubenturm unter anderem ein Arrangement aus fein ziseliertem, gläsernem Laub, Treibholz, Moos und Schneckenhäusern ausgestellt, das den Titel "Die Ohren des Waldes" trägt. Ebenso facettenreich erweist sich das Werk von Anna Riedl, die sich meist von der Natur und der Schönheit alltäglicher Momente zu Bildern oder Glasobjekten inspirieren lässt. Die Glasmalerin lebt in Dießen und hat den Kontakt zwischen der Glassjam-Gruppe und dem örtlichen Heimatverein hergestellt, der den Taubenturm seit fast 100 Jahren besitzt.

Seine erste Ausstellung hatte das Künstlerkollektiv, dem noch die Tschechin Zuzana Kubelková, die Russin Olga Golos und der Pole Norbert Michna angehören, vor exakt einem Jahr in Berlin. Premiere wurde in einer modernen Galerie mit dem treffenden Namen "ErsterErster" gefeiert. Doch die Schau am Ammersee muss sich dahinter nicht verstecken, denn das morbid-romantische Ambiente des Taubenturms passt hervorragend zu den oft organisch wirkenden Exponaten. Der Dießener Ausstellung unter dem Motto "Panorama" wäre bloß zu wünschen, dass sie ebenso viele Besucher anzieht wie die Vorgängerin in Deutschlands Kulturmetropole: Sie ist bis zum 25. September jeweils samstags und sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet.

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