Süddeutsche Zeitung

Brauchtum:Platteln nach Punkten

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Beim Jubiläumsfest des Gautinger Trachtenvereins treten Paare aus dem ganzen Oberland und aus den USA zum Wettbewerb an. Da kommt es auf exaktes Timing an - und schwindlig darf einem auch nicht werden.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Gauting

Das Paar auf der Bühne im Gautinger Festzelt tanzt perfekt im Takt. Die Haltung ist aufrecht, der Oberkörper unverkrampft. Der Bursch lässt seine Hände scheinbar lässig auf Oberschenkel und Schuhsohle klatschen. Die Schläge sind gut platziert, die Lautstärke ist korrekt. Das Deandl dreht sich gleichmäßig innerhalb des vorgeschriebenen Kreises um die eigene Achse. Dazu gehört jahrelange Übung. Damit einem dabei nicht schwindlig wird, müsse man wie auf einem schwankenden Schiff einen festen Punkt fixieren, verrät die Zuschauerin Beate Habersecker aus Mehring. Als der Bursch jedoch das Deandl einfangen will, macht die Tänzerin versehentlich einen Zwischenschritt. "Das gibt Punktabzug", erklärt Anita Biereder vom Trachtenverein "D'Hochleitner Pullach", die Pressewartin für den Isargau der Trachtenvereine.

Der Schuhplattler ist ein Werbetanz, zu dem auch das "Einfangen" gehört, dass also Bursch und Deandl nach Platteln und Drehen wieder zusammenfinden, um sich gemeinsam zu drehen. Da gibt es durchaus Unterschiede, die in die strenge Bewertung beim Preisplatteln auf der Jubiläumsfeier zum 111. Gründungsfest des Trachtenvereins D'Würmlust-Stamm Gauting einfließen. Die Pullacher beispielsweise fangen während des Tanzes zwei Mal ein, die aus dem Chiemgau nur ein Mal. Einen Punktabzug gibt es, wenn ein Strumpf rutscht oder der Trachtenhut herunterfällt.

Für die Tracht selbst gibt es strenge Richtlinien. Die roten Nelken am Dekolleté der Dirndl beispielsweise müssen echt sein. Daran halten sich auch die 79 Teilnehmer aus Nordamerika, die zum Preisplatteln angereist sind. 39 von ihnen tanzen um den "Bayerischen Löwen", ein Wettbewerb, an dem 300 Tänzer aus acht Gauen in Bayern teilnehmen; von jedem Gau sind nur die jeweils Besten zugelassen. Und die Amerikaner, die sich aus allen Teilen der USA zu einem Gau zusammengeschlossen haben, sind richtig gut. Das müssen die Bayern neidlos anerkennen. "Kein Zwischenschritt", stellt Biereder fachmännisch fest, als Sabine Dodee und Tristan Almendinger vom Nordamerika-Gau ihr Können unter Beweis stellen. "Der hat sie richtig erwischt."

Dass die Amerikaner alle zwei Jahre zum Wettbewerb nach Deutschland reisen, ist etwas Besonderes. Biereder hält den Kontakt. Sie ist sogar in den Trachtenverein Detroit eingetreten, um im Gegenzug bei den Wettbewerben in den USA mitmachen zu können. Der findet nach Angaben von Bob Hugel, dem Vize-Präsidenten des New Yorker Trachtenvereins "Schlierachtaler Stamm", von 13. bis 16. Juli statt.

Ebenso wie die Gautinger und die Pullacher, tragen auch die amerikanischen Teilnehmer Miesbacher Tracht, die sie in Deutschland kaufen. Dafür müssen sie viel Geld investieren. Etwa 5000 Euro kostet eine Originaltracht für Burschen, die Deandl müssen etwa 3000 Euro investieren, selbstverständlich ohne den Trachtenschmuck. Der ist ebenso individuell wie die Stickerei auf den Lederhosen. Richtig teuer können Extras wie eine handgefertigte Federkielstickerei werden.

Fritz Sheffler aus Kalifornien ist Filmschaffender. Das C im Namen seines Großvaters sei in den USA verloren gegangen, erzählt er. Das Emblem des Trachtenvereins "Golden Gate San Francisco", das auf dem Steg seiner Lederhosenträger prangt, hat der Künstler selbst entworfen. Jetzt ist ein Vereinskamerad an der Reihe, der erst am Morgen mit dem Flugzeug angekommen ist. Dafür, dass er unausgeschlafen mit der Startnummer 1 antreten muss, macht er seine Sache wirklich gut. Eric Ray nimmt ebenfalls am Wettbewerb teil. "Ich glaube, ich habe gute Chancen auf einen der vorderen Plätze", meint er selbstbewusst.

Die Kinder, die ihren Wettbewerb auf einer Nebenbühne im hinteren Bereich des Bierzeltes austragen, beobachten gespannt das Geschehen auf der Hauptbühne und platteln in sicherer Entfernung quasi zu Übungszwecken mit. "Es ist egal, ob ich gewinne oder verliere. Hauptsache, ich bekomme den Bayerischen Löwen als Stecker am Hut und kann sagen, ich war dabei", sagt der zwölfjährige Damian. Den silbernen Anstecker, auf dem auch die Platzierung verzeichnet ist, bekommt jeder Teilnehmer.

Der Bayerische Löwe, eine Figur aus Nymphenburger Porzellan, die im Jahr 2001 vom damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber gestiftet wurde, ist ein Wanderpokal, der an den Gesamtsieger vergeben wird. "Wenn der Bayerische Löwe nach Amerika ginge, wäre das eine Sensation", sagt Biereder. Auch wenn die Amerikaner bei den Einzelbewertungen durchaus vordere Plätze belegen, reichte es am Ende doch nicht ganz für den Pokal. Der Löwe kehrte zum Trachtenverein Hochleitner Pullach zurück, die den Pokal 2018 schon einmal gewonnen hatten. Es sei aber eine "sehr enge Entscheidung" gewesen, erklärt Biereder. Die Amerikaner seien nur wenige Punkte von den vorderen Plätzen entfernt gewesen.

Das Festzelt an der Leutstettener Straße in Gauting öffnet an diesem Samstag schon um 10 Uhr. Um 20 Uhr beginnt dort bayerisches Kabarett mit den "Brettl-Spitzen". Am Sonntag beginnt das Programm um 10 Uhr mit einem Festgottesdienst, um 14 Uhr startet der Festzug der Trachtenvereine.

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