Süddeutsche Zeitung

Unvergessenes Verbrechen am Ammersee:Wenn ein Tonband alles infrage stellt

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Ein Dokufilm auf Sky Crime rekonstruiert den unvergessenen Kriminalfall in Eching von 1981 unter dem Titel: "Das Mädchen in der Kiste - Wer tötete Ursula Herrmann?" Die Erkenntnisse sind brisant. Sitzt überhaupt der Richtige im Gefängnis?

Von Christian Deussing, Eching

Das Verbrechen erschütterte die Nation und ist auch nach 41 Jahren nicht vergessen: Am 15. September 1981 wurde Ursula Herrmann abends auf dem Heimweg von ihrer Tante in Schondorf auf einem Radweg am Ammersee bei Eching von ihrem roten Fahrrad gerissen und im Waldgebiet Weingarten in eine im Boden vergrabene Holzkiste gesperrt. Weil das Belüftungssystem nicht funktionierte, erstickte das zehnjährige Mädchen.

27 Jahre später wurde Werner Mazurek in Schleswig-Holstein verhaftet: ein ehemaliger TV-Techniker aus Eching, der bis heute die Tat bestreitet. Nun ist vom Donnerstag, 3. November an auf Sky Crime (mit Sky Q und auf dem Streamingdienst WOW) ein 84 Minuten langer Dokumentarfilm zu einem der aufsehenerregendsten Kriminalfällen in der deutschen Nachkriegsgeschichte zu sehen. Der Titel: "Das Mädchen in der Kiste - Wer tötete Ursula Herrmann?" Die Recherchen dazu stellen nun vieles infrage.

Mazurek wurde 2010 in einem langwierigen Indizienprozess wegen erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Täter hatten zwei Millionen Mark Lösegeld von den Eltern in Eching gefordert. In Mazureks Haus in Kappeln an der Schlei hatten die Ermittler 2008 ein Tonbandgerät der Marke Grundig TK 248 entdeckt. In einem Phonetik-Gutachten hielt es eine Expertin des Landeskriminalamtes (LKA) für "wahrscheinlich", dass nach der Entführung der Schülerin die Erpresser das Gerät verwendet hätten. Hierbei war auch die Verkehrserkennungsmelodie von Bayern 3 zu hören gewesen.

Ein neues Audio-Gutachten könnte das Urteil gegen Werner Mazurek vielleicht kippen, hofft sein Verteidiger

Dieses Gutachten, das maßgeblich zur Verurteilung des heute 71 Jahre alten Mazurek geführt hatte, wird in der Sky-Dokumention allerdings von Experten der Forensischen Phonetik an der Universität Zürich angezweifelt. Sie haben die Aussagen der LKA-Expertin zu Tonköpfen und Abfolgen dieses Geräts in einem eigenen Audio-Gutachten überprüft. Dieses Ergebnis gebe ihm wieder Auftrieb, das Urteil zu kippen, sagt Mazureks Verteidiger Walter Rubach im Film. Dass das Tonbandgerät ein Tatwerkzeug gewesen sei, habe eine Wahrscheinlichkeit von "eins zu fünf Millionen", sagt der Anwalt.

In der aufwendigen Dokumentation kommen unter anderem ein LKA-Ermittler und der Vorsitzende Richter, der das Urteil gegen Mazurek gefällt hatte, zu Wort. Befragt wurde auch der verurteilte Täter im Gefängnis. Laut Sky habe dessen Rechtsanwalt angekündigt, mit seinem Team alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um einen Antrag auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu stellen. Das Tonband-Gutachten des Zentrums für Forensische Phonetik und Akustik der Universität Zürich spiele dabei eine "nicht unbedeutende Rolle", so der Anwalt. Er habe zudem angekündigt, unabhängig davon im Mai 2023 einen Antrag für Mazurek "zur Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung zu stellen".

Sind die wahren Täter unentdeckt geblieben?

In der Doku wird überdies hinterfragt, ob allen Hinweisen und Spuren im Fall Ursula Herrmann ausreichend nachgegangen worden sei - etwa bei einem 140 Meter langen Klingeldraht, der im Wald als mögliches Warnsytem der Täter installiert worden war. Den Draht hatte erst zwei Jahre später ein Internatsschüler aus dem nahen Landschulheim Schondorf der Kripo übergeben. Es gebe dem Sender Sky und der Produktionsfirma RAW zufolge auch weitere offene Fragen zu dem Verbrechen - vor allem, ob die Verurteilung Mazureks tatsächlich berechtigt sei und möglicherweise die wahren Täter unentdeckt geblieben seien.

Auch der Bruder des Opfers ist in dem Film zu sehen. Der Musiklehrer hatte das Ergebnis des LKA-Gutachtens zum Tonbandgerät als Beweismittel gegen Mazurek als unzureichend und nicht schlüssig angesehen. Er hat vor Jahren schon auf - seiner Ansicht nach - relevante Spuren und Indizien hingewiesen, die nicht oder nur ungenügend verfolgt und beachtet worden seien. Zu dem Fall wolle er sich aber in der Öffentlichkeit nicht mehr äußern, erklärt der Bruder von Ursula Herrmann.

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