Süddeutsche Zeitung

Stadt am Rand:Das Vorbild der Tat

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Die Bundeswehr-Uni weiht 75 Jahre nach dem Attentat auf Hitler den Stauffenberg-Saal ein und lädt zur Diskussion

Von Udo Watter, Neubiberg

Als Tom Cruise im Jahr 2007 die Rolle des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg übernahm, nicht zum Entzücken der Familie des Widerstandskämpfers übrigens, beschlich den Schauspieler nach eigenen Angaben ein mulmiges Gefühl, wenn er die Wehrmachtsuniform anzog. Auch das amerikanische Kinopublikum soll zunächst gefremdelt haben, den Landsmann in dem, aus ihrer Sicht, "Nazi-Outfit" und mit Augenklappe auf der Leinwand zu sehen.

In Deutschland scheint dagegen heute generell ein Unbehagen gegenüber Menschen in Uniform zu herrschen, wie Karl Schenk von Stauffenberg, der Enkel des Attentäters, bei einer Podiumsdiskussion anlässlich der Einweihung des Stauffenberg-Saals in der Universität der Bundeswehr München erklärte. Die Gesellschaft entfremde sich nicht nur zunehmend von der Bundeswehr, sondern auch von Polizisten oder Sanitätern, die etwa in Ausübung ihrer Arbeit behindert würden, sagte er. Teresa Koloma Beck, Soziologie-Professorin mit Schwerpunkt Konflikt-, Gewalt- und Globalisierungsforschung, die neben Stauffenberg, dem Bundestagsabgeordneten Florian Hahn (CSU) und Militärhistoriker Helmut Hammerich zu den Diskutanten gehörte, hatte dafür eine interessante Erklärung: Die Idee der Menschenrechte sei so erfolgreich geworden, dass Gewalt an sich immer mehr in Legitimationszwang gerate, selbst der Staat als Träger des Gewaltmonopols. "Die moderne Gesellschaft ist normativ Gewalt-avers", sagte sie. Und in Deutschland mit seiner Geschichte sei das noch stärker der Fall.

Es war generell eine inspirierende Diskussion, die da im lichten, transparenten Raum 2004 des Bibliotheksgebäude am Campus in Neubiberg statt fand, der nun offiziell "Stauffenberg-Saal" heißt. Eine Büste des Widerstandskämpfers, Abguss einer Büste aus dem Besitz der Witwe, empfängt den Eintretenden seit neuestem dort - platziert auf einem neuen Sockel entfaltet sie quasi "mehr hochschulöffentliche Wirksamkeit", wie Merith Niehuss, die Präsidentin der Universität in ihrer Rede betonte. Die Einweihung der Büste, die Neubenennung des Saals sowie das sich bald jährende Jubiläum des Attentats hatten die Verantwortlichen der Universität zum Anlass genommen, die Podiumsdiskussion "Mit Verantwortung entscheiden. 20. Juli 1944 - 75 Jahre später" zu initiieren. Im Publikum waren neben Bundeswehrangehörigen verschiedener Ränge und Universitätsdozenten unter anderem Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern sowie der FDP-Landtagsabgeordnete Albert Duin.

Bereits Niehuss lieferte in ihrer Einleitung viele Anregungen, welche dann die Diskussionsrunde unter Moderation von Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, fortführen sollte: Die sich wandelnde Rezeption des "20. Juli" - Stauffenberg galt nach dem Krieg nicht wenigen als "Vaterlandsverräter" - oder die historische Linie von der Wehrmacht zur Bundeswehr, die aber natürlich heute ein anderes Ideal des Soldaten als Individuum pflegt: "Der Staatsbürger in Uniform ist ein radikaler Gegenentwurf zum Soldaten sui generis" sagte Niehuss. Besonders interessant ist das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Gehorsam, im dem sich gleichsam der moderne, zur Reflexion ermunterte Soldat befindet. "Diese Freiheit bedeute auch immer ein 'Mehr' an Verantwortung" so Niehuss. Ein prägender Begriff dafür ist in der Bundeswehr der "gewissensgeleitete Gehorsam". Das große Verdienst der Männer des 20. Juli, die wie Stauffenberg selbst teils durchaus ambivalente Biografien aufweisen, sei es, so Niehuss, "die Grenzen soldatischen Gehorsams aufgezeigt" zu haben.

Was die anschließende Diskussion so anregend machte, war die Tatsache, dass die Teilnehmer nicht nur beredt auftraten, sondern auch offen und frei von Beschönigungen. Ein bisschen mehr im Fokus als seine Sitznachbarn stand dabei naturgemäß Karl Schenk von Stauffenberg. Der Unternehmer und Politiker - er trat 2018 als Landtagskandidat für die FDP an - plädierte dafür, seinen Großvater, der Hitlers Politik ja eine Zeitlang durchaus begrüßte, dezidiert im historischen Kontext der Zeit zu betrachten. "Mein Großvater war kein Demokrat nach heutigen Gesichtspunkten - er hat ja auch eine Demokratie scheitern gesehen - aber er war auch kein Nazi."

Er wehrt sich auch immer wieder gegen Versuche, den Großvater als Vorbild für die eigene Sache zu vereinnahmen, was unter anderem der AfD-Parteivorsitzende Alexander Gauland versuchte. Karl Schenk von Stauffenberg engagiert sich gegen jede Form von politischem Extremismus, 2016 gründete er den überparteilichen Verein "Mittendrin statt extrem daneben". Florian Hahn, Mitglied im Verteidigungsausschuss im Bundestag, warnte davor, die Gefährlichkeit der AfD ("Wolf im Schafspelz") zu unterschätzen. "Wir müssen aufpassen, dass sich da Linien nicht verschieben und die politische Kultur sich nicht verändert." Historiker Hammerich berichtete, manche seiner Studenten fragten, ob Stauffenberg eigentlich Demokrat war. Nein, das war er im klassischen Sinne nicht, und ihn als klassischen "Helden" zu bezeichnen, falle auch schwer, besonders unter deutscher Perspektive.

Taugt Stauffenberg also als Vorbild für gesellschaftliche Verantwortung? Nun, ob er jetzt Uniform getragen hat oder nicht: Es ist ohnehin weniger der Mensch mit seinen Brüchen, sondern vielmehr die Tat, die als Vorbild gelten könne, sagte Merith Niehuss.

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SZ vom 21.06.2019
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