Süddeutsche Zeitung

Kaugummiautomaten:Kleber für die Backenzähne

Lesezeit: 3 min

Noch immer sieht man sie an Hauswänden und Gartenzäunen: Kaugummiautomaten. Aber wer füllt die eigentlich nach? Und kann man damit noch Geld verdienen?

Von Pia Ratzesberger

Vielleicht ist der Automat vergessen worden, warum soll er sonst noch da hängen, mit seinen sauren Krachern. Der rote Kasten hat Kratzer davongetragen, er trägt ein paar mehr Notizen, "Liss liebt Sven" zum Beispiel oder "Fuck, yeah". Aber er hängt immer noch an der gleichen Wand und wenn man genau hinsieht, merkt man: Der Automat ist nicht tot.

Jemand muss in seinem Inneren die Kugeln nachfüllen, muss die Papiere an der Scheibe auswechseln, die manchmal für Flummis und dann wieder für Haarbänder werben, ein Euro das Stück. Solche Automaten hängen zuhauf in den Münchner Straßen, mehr als fünfzig Jahre schon, und man fragt sich beim Vorbeigehen hin und wieder, wer die eigentlich nachfüllt. Ob man damit wirklich Geld verdienen kann.

Das Kaugummibusiness ist nicht unbedingt das transparenteste. Es gibt keine Statistiken, wie viele der Kästen in den deutschen Straßen stehen, geschweige denn in den Münchner Stadtvierteln. Etwa 500 000 bis 800 000 Kaugummiautomaten sollen es in Deutschland sein, schätzt man beim Bundesverband der Warenautomatenhersteller, der sich nicht nur um den 24h-Stunden-Zugang zu Süßkram kümmert, sondern auch um den zu Kondomen oder Zigaretten.

Der Verband gründete sich erst im Jahr 1961, aber schon nach dem Zweiten Weltkrieg, kurz nach der Einführung der D-Mark, konnten Kinder im Westen die neuen Münzen in die runden Öffnungen von Automaten werfen. Bunte Kugeln in zerbombten Städten; die Amerikaner brachten nicht nur Kippen, sondern auch Kleber für die Backenzähne.

Heute gehören zum Vorstand des Verbands der Warenautomatenhersteller sechs Männer, aus Buseck und aus Viernheim, aus Hildburghausen und aus Emsdetten, das Geschäft mit den Automaten scheint keines der Großstadt zu sein. Einer von ihnen, Gerhard Jahn aus Kammeltal bei Günzburg, ist in der Presse ab und an schon einmal als "Kaugummikönig" gerühmt worden, ruft man bei ihm an, zählt er sofort auf, wer schon alles da war: RTL, der Südwestrundfunk, Bayern 3, ein Team von Galileo und noch so ein paar Dutzend andere.

Er lacht, er kann sich auch nicht so richtig erklären, warum sich die alle für seine Kaugummiautomaten interessieren, er betreibe in Süddeutschland etwa 2000 Stück, in München seien es auf jeden Fall mehr als 100. Wie viel Umsatz oder Gewinn er macht, will er nicht sagen, nur "es lohnt sich". Mit 20 Automaten habe er angefangen, in 30 Jahren etwa 28 andere Firmen aufgekauft, zum Beispiel in Bad Tölz.

Heute seien nur noch die großen Aufsteller übrig, viele hatten in den 50er und 60er Jahren gegründet und haben dann ihre Betriebe verkauft, als sie in Rente gingen. "Da war der Osterrieder in Tölz, in Unterhaching gab's früher den Helmut Kranz, aber jetzt hat es sich sehr konzentriert". Die fünf Mitarbeiter von Jahn befüllen die einzelnen Gefäße schichtweise, eine Schicht Klimbim, eine Schicht Kaugummi. Das ist wohl der Grund, warum in der Kindheit meist nicht das rauskam, was man sich erhofft hatte, die Glibberhand oder das Plastikauto.

Trotzdem blieb man wieder stehen, der rote Kasten war schlecht zu übersehen, neben der Bushaltestelle, auf der perfekten Höhe für einen Erstklässler mit ein paar Pfennigen im Geldbeutel oder sogar einer Mark, bereit für das erste Glücksspiel. Kaugummiautomaten hängen meistens da, wo die Kundschaft auf dem Weg zur Schule vorbeikommt, oder zum Kindergarten.

Drei Jahre hat ein Automat von Gerhard Jahn Zeit zu beweisen, dass er an der richtigen Stelle steht. Wenn der Umsatz nicht stimmt, muss er umziehen. Abseits einer Großstadt wie München gibt es manchmal kaum noch Konkurrenz, in den Orten, wo der Kiosk vor kurzem zugemacht hat und das Spielwarengeschäft sowieso. "Dann sind wir die einzige Quelle", sagt Jahn. Er spricht wie einer aus dem Sales-Management, "die Tageseinnahme des Kunden muss optimal investiert werden".

Auf Instagram gibt es einen eigenen Account namens Kaugummiautomat, auf dem mehr als 100 Bilder zu sehen sind, vor allem Münchner Automaten. Auf Ebay werden ausrangierte Kästen für mehr als 200 Euro gehandelt, in offenen Straßenkarten im Netz sammeln Nutzer die Standorte von Automaten mit vending=*sweets. Der Kaugummiautomat erinnert an die Zeit, als nicht mehr zu entscheiden war, ob die zehn Pfennig besser in Apfel oder Zitrone investiert sind und an die scheinen sich viele gerne zu erinnern. Für die meisten, sagt Jahn aus dem Kammeltal, sei das Drehen am Kaugummiautomat das erste Geschäft ihres Lebens gewesen, noch vor den Semmeln beim Bäcker oder dem Kassenband im Supermarkt. Vielleicht sei der Automat deshalb so prägend.

Zur Zeit der D-Mark gab es an Jahns Automaten nur drei Einwürfe, 10 Pfennig, 50 Pfennig und eine Mark. Jetzt sind es: 5 Cent, 10 Cent, 20 Cent, 50 Cent, 1 Euro. Wenn man dreht, fallen noch immer Kaugummis aus den USA ins Fach, auch aus Belgien, Irland und China. Nur heißen sie heute nicht mehr Apfel oder Zitrone. "Das sind jetzt Maxy Galaxy oder Outrange Orange", sagt Jahn. Seine liebste Sorte sei Orange. Die sei das optimale Investment.

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SZ vom 24.03.2017
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