Süddeutsche Zeitung

Sicherheitskonferenz:Schleusen zur Sicherheitszone sind dicht - 800 Menschen bei erster Demo

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Erstmals seit vielen Jahren findet schon am Freitagabend eine Kundgebung statt - mit meist jungen Demonstranten. Am Morgen hat die Polizei gezeigt, wie sie die Sicherheitskonferenz im Bayerischen Hof schützt.

Von Martin Bernstein

Es sind etwa 800 meist junge Menschen, die sich am Abend auf dem Gärtnerplatz versammelt haben: Klima-Aktivisten von "Ende Gelände", Flüchtlingsunterstützer der "Seebrücke München", Gegner des Polizeiaufgabengesetzes, antirassistische und antifaschistische Gruppen, Gegner der Sicherheitskonferenz. Ihr gemeinsames Ziel: Eine Welt, in der gesellschaftliche Probleme nicht mehr mit Gewalt beantwortet werden. "Nationalismus und rechte Ideologien nehmen weltweit zu", sagt ein Redner. "Kriege zwingen Millionen in die Flucht", ein anderer. Ganze Landstriche würden durch kriegsbedingte Umweltzerstörungen verwüstet. Es ist die erste große Anti-Siko-Demo an diesem Wochenende, die erste seit vielen Jahren, die unabhängig von der traditionellen Großkundgebung am Samstag veranstaltet wird. Es ist ein junges Protestpublikum, das erklärtermaßen etwas Neues versuchen will.

So genau hat neun Stunden zuvor noch niemand gewusst, wie viele kommen würden. Die angemeldeten 250 Demonstranten? Oder viel mehr? Die Polizei weiß es nicht, die sonst eigentlich ziemlich viel von dem wissen muss, was sich rund um die Sicherheitskonferenz abspielt, weil sie das alles in einem gut hundertseitigen Einsatzbefehl koordiniert. Und die Organisatoren auch nicht. Defensiv habe man kalkuliert, heißt es - ist ja nicht das Schlechteste für eine Friedensdemo. Am Ende sind gut dreimal so viele auf der Straße wie angemeldet.

Erst einmal ist am Freitagmorgen aber ein Müllauto auf der Straße - auf der Zufahrt zum seit 6 Uhr hermetisch abgeriegelten Promenadeplatz. Der Fahrer des Entsorgungsfahrzeugs mit Fürstenfeldbrucker Kennzeichen hat bestimmt nichts Schlimmes im Sinn, im Gegenteil. Müll abholen will er halt. Weil er aber keinen Passierschein hat, gestaltet sich das schwierig. Wie sollen die Polizistinnen und Polizisten an der Zufahrtsschleuse in der Pacellistraße kontrollieren, ob alles in Ordnung ist? Durchsuchen? Es dauert. Schließlich steigen zwei Beamte zu, das Müllauto darf durch.

Immer wieder was Neues, auch bei der 56. Sicherheitskonferenz. Selbst wenn vieles auf den ersten Blick so aussieht wie immer. Am Morgen haben die 3900 Polizisten aus acht Bundesländern die Schleusen zur Sicherheitszone rund um das Tagungshotel dicht gemacht. Drei Stunden später haben sie noch einmal für die Kameras der Weltpresse ein Absperrgitter auf- und wieder zugeklappt, während ein Sprengstoffhund für die Kameras an einem Zivilfahrzeug der Polizei herumschnüffeln durfte. Das gibt meistens sehr nette Bilder und vertreibt die Wartezeit bis zum Eintreffen der ersten Konvois der Konferenzteilnehmer.

Diesmal darf sogar ein Übungskonvoi der Polizei zwei Runden vor dem Bayerischen Hof drehen. Erst am Samstag wird es für diese Beamten auf den Motorrädern und in den Streifenwagen ernst, andere Konvois haben bis zum Freitagmorgen schon insgesamt 38 Lotsenfahrten absolviert, mehr als 300 werden es bis zum Sonntag sein. Auch der Hund ist jedes Jahr dabei, er heißt aber immer anders. Heuer darf Basko vor den Kameras schnüffeln, dreieinhalb Jahre alt, 2019 war es Alfi, im Jahr davor Gomez.

Die Sicherheitskonferenz in München, ein gewohntes Thema mit Variationen, die mehr im Detail liegen. Die bunten Siegel beispielsweise, die auf den Kanaldeckeln und Gullys rund um den Bayerischen Hof pappen und die durch ihre jedes Jahr anderen Farben signalisieren: überprüft und bombensicher - ebenso wie die von Basko, Alfi und Gomez gecheckten Autos und die Zimmer im Hotel, in denen nicht nur genächtigt, sondern in rund 800 Gesprächsrunden mal der Weltfrieden, mal der Waffenexport befördert wird. Manchmal kommt Angela Merkel (diesmal nicht), manchmal kommt Emmanuel Macron (diesmal schon, wenn ihm nicht wieder zu Hause Gelbwesten dazwischen kommen). Außenminister Sergej Lawrow aus Russland kommt praktisch immer, Donald Trump hingegen nie.

Aber die Details, die kleinen und die großen, die wichtigen und die unwichtigen, sie machen den Unterschied. Einen neuen Verantwortlichen bei der Polizei gibt es, Norbert Radmacher, zweiter Mann an der Spitze des Präsidiums. Sein Vorgänger Werner Feiler ist nach der 55. Sicherheitskonferenz in den Ruhestand gegangen. Der Oberfranke mit dem gemütlichen Schnauzbart war fast so sehr das Gesicht der Sicherheitskonferenz wie deren Leiter Wolfgang Ischinger. Feiler sagte von sich, in den Siko-Tagen "Dirigent" eines Orchesters zu sein. Sein Nachfolger Radmacher hat die übliche Pressekonferenz im Präsidium zwei Tage vor Konferenzbeginn abgeschafft und durch eine Art Stuhlkreis ersetzt. Wie gesagt: Die Unterschiede liegen in Nuancen.

Wäre da nicht dieser Freitagabend. Diese Kundgebung, von der niemand gewusst hat, wie groß sie werden wird und ob sie die gewohnte "Antisiko"-Demonstration am Samstag einmal ersetzen wird. Die Organisatoren beider Protestmärsche versichern, dass sie den jeweils anderen nicht als Konkurrenten sehen. Aber das sagen auch Armin Laschet und Jens Spahn drüben im Bayerischen Hof.

Die Kundgebung auf dem Gärtnerplatz, direkt neben dem Gedenk-Container für die jüdischen Opfer des Brandanschlags von 1970, endet mit einem klaren Bekenntnis gegen jeden Antisemitismus - und mit viel Applaus für diese Worte. Dann setzt sich der Zug in Bewegung.

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SZ vom 15.02.2020
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