Süddeutsche Zeitung

Sicherheit:18 Stunden lang Kontrollen im Bahnhofsviertel

Lesezeit: 3 min

Den 350 Beamten gehen aber nur kleine Fische ins Netz. Erfolgreich war die Aktion aus Sicht der Polizei trotzdem. Ziel war es nämlich, möglichst auf die Nerven zu gehen.

Von Thomas Schmidt

Ein Radio wummert, sendet blecherne Basswellen durchs Bahnhofsviertel. Sir Mix-a-Lot erläutert fröhlich rappend, welches Körperteil er bei Frauen besonders schätzt. Sein "Baby Got Back" mischt sich mit dem Gedudel eines Strip-Lokals, in das alle paar Minuten Herren jenseits der 50 mit Schnäuzer und Halbglatze huschen. Es ist kurz vor 22 Uhr an der Schillerstraße - und gleich wird es hektisch.

Geschrei. "Ich blute aus Nase!", krakeelt jemand. Drei bärtige Gestalten drücken ihn auf den Boden, knien auf seinem Rücken. Sie tragen tief ins Gesicht gezogene Kapuzen, Baseballcaps, schmutzige Jeans oder schlabbernde Jogginghosen. Sie sehen nicht aus wie Polizisten, sie haben ihre Uniformen eingetauscht gegen Rue Couture. Auf dem Kopf eines Beamten leuchtet eine Jamaika-Strickmütze.

Der Mann auf dem Boden sei wohl ein Drogendealer, berichtet der Bob-Marley-Beamte. Er habe einen Zivilfahnder als Polizisten erkannt und sei sofort auf ihn losgegangen. Jetzt legen ihm Fahnder Handfesseln an und zerren ihn in einen Streifenwagen. Für ihn ist die Nacht im Bahnhofsviertel vorbei. Für die Fahnder noch lange nicht.

Ihr Tag begann früh, sie hatten sich viel vorgenommen. Mehr als 350 Beamte, darunter Kräfte der Bundespolizei, verdeckte Ermittler, Drogenfahnder und Spezialeinheiten führten am Donnerstag von sieben Uhr morgens bis ein Uhr nachts Schwerpunktkontrollen durch. Ihr Einsatzgebiet reichte vom Nußbaumpark über das Bahnhofsviertel bis zum Alten Botanischen Garten. Sie suchten nach Drogendealern und Prostituierten, überprüften Bettler und Obdachlose, erteilten hier und da Platzverweise und setzten ab 22 Uhr das Alkoholverbot am Hauptbahnhof durch. Insgesamt kontrollierte die Polizei mehr als 600 Personen.

Die konzertierte Aktion, an der auch Schwarzarbeit-Fahnder des Zolls und Beamte der Gewerbeaufsicht beteiligt waren, sollte wohl vor allem dem Sicherheitsgefühl der Bürger dienen und für mehr Ordnung sorgen in einem Viertel, in dem sich viele Münchner unwohl fühlen. Ein Schlag gegen die organisierte Kriminalität war die Aktion nicht - und sollte es auch nicht sein.

Gerade mal zwei Personen wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen, bei fünf weiteren wurde ein bereits bestehender Haftbefehl vollstreckt. Bei Drogendealern, Fixern und Bahnhofstrinkern sprachen sich die Kontrollen offenbar schnell herum, die meisten verdrückten sich, ihre Treffpunkte blieben verwaist.

"Wir nehmen die Sorgen der Bürger ernst"

"Sobald die Polizei weg ist, kommen die alle wieder", sagte die Mitarbeiterin eines Ladens am Bahnhof. Innerhalb von 18 Stunden stellte die Polizei 21 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz fest, größere Mengen Drogen seien aber keine gefunden worden. "Unser Ziel ist es, die Kunden so zu nerven, dass sie wegbleiben", erklärte ein Ermittler. "Dann gehen auch die Dealer weg."

Polizei und Zoll überprüften auch mehrere Shisha-Bars im Bahnhofsviertel. So sperrten Einsatzfahrzeuge kurz vor 19 Uhr die Adolf-Kolping-Straße ab, etwa 50 Beamte postierten sich vor der kleinen "Shishabar Dubai", holten jeden der rund 25 Gäste einzeln nach draußen und suchten nach Drogen, gefälschten Papieren oder Schwarzarbeitern - nur finden konnten sie nichts.

Gut zwei Stunden später spielten sich ähnliche Szenen vor einer Shisha-Bar an der Landwehrstraße ab. Durch das Rauchen der vielen Wasserpfeifen und wegen einer unzureichenden Lüftung sei der CO₂-Wert gefährlich hoch gewesen, teilte die Polizei später mit, deswegen habe die Gewerbeaufsicht die Bar sofort schließen lassen.

Deutlich ruhiger verlief der Abend für die Betreiber der Strip-Lokale im Bahnhofsviertel. Eines hatte schlicht geschlossen, als die Polizei vor der Tür stand. Bei einem zweiten trafen die Beamten nur ein paar - legale - Mitarbeiterinnen an. Auch verbotene Prostitution am Straßenrand konnten die Beamten nicht feststellen. Dafür aber insgesamt sieben Verstöße gegen das Alkoholverbot am Bahnhof.

Am Ende des Einsatzes hatten gut 350 Polizisten insgesamt 30 Straftaten registriert - 21 davon wegen kleinerer Mengen Drogen - und 261 Platzverweise erteilt. Die Zahl wurde im Nachhinein von 241 nach oben korrigiert, teilte die Pressestelle der Polizei mit. Polizeidirektor Michael Dibowski sprach von einer "erfolgreichen Aktion". Ohnehin sei die Kriminalität am Bahnhof laut Polizei seit Einführung des Alkoholverbots um knapp 20 Prozent gesunken. Dibowski: "Wir nehmen die Sorgen der Bürger ernst."

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SZ vom 18.11.2017
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