Süddeutsche Zeitung

Sexuelle Übergriffe:Der weite Weg von Köln zum Oktoberfest

Lesezeit: 2 min

Von Susi Wimmer, München

Es ist nicht immer so, dass Polizei und Frauenhilfe-Einrichtungen einer Meinung sind, wenn es um sexuelle Gewalt an Frauen geht. Doch bei den exorbitant hohen Zahlen von mutmaßlichen Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen auf der Wiesn, die momentan durch die Medien und das Internet geistern, ist man sich einig.

"So ein Schmarrn", entfährt es Maike Bublitz vom Frauennotruf. Und Rainer Samietz vom Kommissariat zur Bekämpfung von Sexualdelikten bei der Münchner Polizei grollt: "Ich würde gerne mal mit den Personen reden, die solche Sachen verbreiten. Wollen die nur Panik schüren?"

Im ZDF-Morgenmagazin etwa nannte die Feministin Anne Wizorek die Ereignisse von Köln mit den Vorkommnissen auf dem Münchner Oktoberfest in einem Atemzug. Sexismus und sexualisierte Gewalt seien ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, dozierte sie, und auf dem Oktoberfest werden laut Wiezorek jedes Jahr zehn Vergewaltigungen angezeigt, die Dunkelziffer sei natürlich erheblich höher und liege bei 200 Vergewaltigungen.

"200 Vergewaltigungen bringen wir in zehn Jahren nicht zusammen"

"Die Dunkelziffer liegt im Dunklen, das sagt allein schon der Name", kommentiert Rainer Samietz die Zahlen, die sich in Windeseile im Internet verbreiteten und von etlichen Medien aufgegriffen wurden. Kommissariats-Leiter Samietz kennt die realen Zahlen: 26 Sexualdelikte wurden im Jahr 2015 auf dem Oktoberfest angezeigt, darunter zwei Vergewaltigungen, zwei versuchte Vergewaltigungen, sowie exhibitionistische Handlungen und Beleidigungen auf sexueller Basis, wie etwa Grapschen.

Dass zahlreiche Grapschereien nicht angezeigt werden, das kann sich der Polizist schon vorstellen und vielleicht werden auch nicht alle Vergewaltigungen bei der Polizei gemeldet. "Aber 200 Vergewaltigungen bringen wir in zehn Jahren nicht zusammen."

Jeder Fall von sexueller Gewalt laufe bei ihm über den Schreibtisch. "Und wenn nötig, fahren wir das volle Programm, um den Täter zu fassen", versichert er. Die Zahl der Sexualdelikte auf dem Oktoberfest sei seit rund 30 Jahren in etwa auf dem gleichen Level. Gemessen an rund sechs Millionen Besuchern pro Jahr bezeichnet Samietz die Übergriffe als "erstaunlich wenig". Und mit den brutalen Straftaten von Köln sei das in keiner Weise vergleichbar.

Bublitz fordert Verschärfung des Sexualstrafrechts

Der Frauennotruf hat mit anderen Hilfsorganisationen das Projekt "Sichere Wiesn" ins Leben gerufen. Man kümmert sich um Opfer von Gewalt und ist auch präventiv tätig. Natürlich würden viele Frauen aus Scham oder falschen Schuldgefühlen auf eine Anzeige verzichten, trotzdem hält Maike Bublitz die Zahlen für viel zu hoch gegriffen.

Dass Frauen von betrunkenen Männern umzingelt und bedrängt werden, das sei auch schon mal auf dem Festgelände vorgekommen, erzählt Kristina Gottlöber von der Frauenhilfsorganisation Imma. Aber sicher nicht in dieser Massivität und dem Ausmaß von Köln. Gottlöber ist bei der "Sicheren Wiesn" mit dabei und erlebt beispielsweise Touristinnen, die sexuelle Übergriffe nicht anzeigen, sondern einfach nur vergessen und heimfahren wollen.

Maike Bublitz fordert, dass jetzt über eine Verschärfung des Sexualstrafrechts geredet werden sollte. Gerade bei Grapschereien sind ihr die Konsequenzen für den Täter zu harmlos. Da sind sich Frauenorganisationen und Polizei dann doch uneins. Für Rainer Samietz reichen die Gesetze aus. Ein Grapscher zahle da schon ein paar Hundert Euro Strafe. "Bei jeder Beleidigung auf sexueller Basis zieht unsere Justiz voll mit", sagt er.

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SZ vom 12.01.2016
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